Wenn das Zuhause die Welt ist: Wohnen als digitaler Nomade
Anders als vielreisende Geschäftsleute, die immer wieder zurückkommen, leben sogenannte digitale Nomaden dauerhaft an wechselnden Orten, meist im Ausland. Wie definieren diese Menschen das Wohnen und ein Zuhause, wenn sie es ständig wechseln?
Lissabon/Bali (dpa/tmn) – Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Die Vorstellung klingt verlockend und bewegt jedes Jahr tausende Menschen zum Auswandern. Doch statt die neue Heimat an einem festen Standort auf Mallorca oder in Thailand zu suchen, sind sogenannte digitale Nomaden an wechselnden Orten der Welt zu Hause. Für den Job brauchen sie nur einen Laptop und schnelles Internet.
Felicia Hargartens Lebensmittelpunkt war bis vor ein paar Jahren noch Berlin. Heute sind ihre «home bases», wie sie ihre Standorte nennt, in Brasilien, Thailand oder auch mal in Griechenland.
Seit 2012 ist die 36-Jährige mit Freund Marcus unterwegs, beide haben früher in der Start-up-Szene gearbeitet. «Wir kannten uns mit Traffic und Webseiten schon sehr gut aus», sagt Hargarten. «Und wir hatten Bock, uns selbstständig zu machen.» Die beiden gründeten eine Community für digitale Nomaden, starteten Blogs und Podcasts für Gleichgesinnte. «Wenn du ein Online-Business hast, dann verschwimmt Leben und Arbeiten sowieso», erklärt Hargarten.
Heute sieht ihr Leben so aus: Im September fahren sie nach Lissabon zur eigenen Nomaden-Konferenz, den Rest des Jahres verbringen sie vornehmlich in Brasilien. «Hier mieten wir immer bei derselben Vermieterin», erzählt Hargarten.
«Wie der Tisch aussieht oder welche Bilder an der Wand hängen, ist mir eigentlich egal», erzählt Hargarten von ihren Unterkünften. Wichtig sei die Küche, sie ernährt sich vegan. Auch eine Waschmaschine ist Pflicht sowie schnelles Internet.
Man dürfe so ein Leben nicht verwechseln mit dem Alltag eines Backpackers oder eines Touristen, betont Hargarten. Sie führt auch in der Ferne ein «ganz normales Leben». Etwa 700 bis 800 Euro geben sie und ihr Partner im Monat für Miete aus. Sollte die Wohnung mal teurer sein, vermieten sie ein Zimmer an einen weiteren digitalen Nomaden.
«Das Gefühl von zu Hause kann ich überall einstellen», erklärt sie. «Denn es hat nichts mit dem Äußeren zu tun, sondern ist ein Gefühl von innen.» Bedingungen an den Ort gibt es aber. «Es sollte warm sein und die Möglichkeit zum Kitesurfen geben. Das können gern kleine und ruhigere Orte und Inseln sein. Aber möglichst keine Stadt.»
Bloggerin Conni Biesalski (32) lebt derzeit an ihrem Lieblingsort auf der indonesischen Insel Bali. Für sie ist das Zuhause «der Ort, an dem ich mich wohlfühle», erklärt sie. «Das ist nicht anders, wenn man in der Ferne wohnt – bis auf die Tatsache, dass man mehrere Wohnorte mögen kann.»
Wie viele andere wollte sie schon immer reisen und erfüllte sich früh den Wunsch vom Leben als Tauchlehrerin im Ausland. «Mit Mitte 20 kam ich dann noch einmal nach Berlin für einen Job in einer PR-Agentur zurück», berichtet Biesalski weiter. «Schon nach drei Wochen habe ich gemerkt, dass nine-to-five nichts für mich ist.» Normale durchgetaktete Arbeitszeiten will sie nicht. Den großen Wunsch Freiheit erfüllte sie sich 2012 – als digitale Nomadin. Mit ihrem Blog und dem Verkauf von eigenen E-Books erzielt Biesalski eigenen Angaben zufolge heute monatlich hohe Beträge. Auch sie lebt in privat vermieteten Wohnungen – mal allein, mal in Wohngemeinschaften.
«Ich habe zwar nicht viele persönliche Dinge, dennoch brauche ich meinen Raum», erklärt Biesalski. Sie versucht, nicht viel anzusammeln. «Ich mag es gerne minimalistisch. Das heißt, die Dinge sollten nicht überall herum stehen.» In Deutschland hat sie noch zwei Kisten, ebenso in Kalifornien sowie auf Bali.
«Die jungen Menschen machen die Globalisierung zu ihrem eigenen Lebensentwurf», erklärt Eike Wenzel, Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung in Heidelberg. «Sie werden sich noch weniger als wir über die Nation definieren.» Die digitalen Nomaden betrachtet er aber noch als Mode-Erscheinung, die im Zusammenhang mit Megatrends wie Digitalisierung, Mobilität und Individualisierung stehen.
«Sich deren Vorteile zunutze zu machen, kann für junge Leute interessant sein», sagt Wenzel. In einer Phase zwischen 20 und 30 Jahren kann man sich noch mal gut eine Auszeit vom Erwachsensein nehmen. Themen wie Selbstverwirklichung, Multioptionalität, Dezentralität und Unabhängigkeit würden dann an oberster Stelle stehen. «Spätestens, wenn die Familienplanung und die Rush-Hour des Lebens beginnen, kommen andere Bedürfnisse auf», meint Wenzel.
Etwa die der Verortung. Das hat auch Conni beobachtet. «Entweder gehen die Leute nach einer bestimmten Phase wieder zurück, weil der Lifestyle auf Dauer nichts für sie ist, oder sie werden langsamer und sesshaft», erzählt die moderne Nomadin.
Für Bastian Barami gilt das derzeit nicht: Seit 2015 ist er in der Welt unterwegs, hat 20 ferne Länder bereist. Ende 2016 hat er sich sogar komplett aus Deutschland abgemeldet. Eigentlich ist Barami Hotelfachmann, inzwischen aber im Internet tätig. Und musste das Geldverdienen im Internet erst einmal lernen. «Ich habe 30 verschiedene Online-Kurse aus dem amerikanischen Raum besucht», erzählt er. Er verkauft nun Produkte auf einer Handelsplattform.
«In Deutschland fühle ich mich nicht mehr wirklich zu Hause», sagt Barami. Er mag den Gedanken von Multilokalität – zu lange an einem Ort zu sein, das sei nichts für ihn. Dennoch hat auch er seine Lieblingsorte in der Welt, darunter Chiang Mai (Thailand), Medellín (Kolumbien) und Rio de Janeiro (Brasilien).
Barami braucht nicht immer eine Wohnung für sich, da er darin nicht viel Zeit verbringt. Ihm reicht ein Zimmer mit bequemem Bett. Viel wichtiger ist für ihn die Lage: «Ich suche mir Stadtteile, in denen die Nomadendichte hoch und der Weg zu Co-Working-Spaces nicht weit ist», erzählt er. Da ihn der Austausch mit anderen Web-Experten begeistert, mietet sich Barami Schreibtische in Bürogemeinschaften.
Was sich viele Reisenden von den Nomaden abschauen können: Die meisten reisen nur mit Handgepäck. «Wenn möglich habe ich nie einen Koffer dabei, sondern immer nur einen Rucksack», so Barami. Der Grund: Wenn das Gepäck verloren geht, hängt daran auch die Existenz.
Von Evelyn Steinbach, dpa
Foto, dpa
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