EIN SCHWABE IN BERLIN

Der Aalener Markus Grill zählt zu den bekanntesten investigativen Journalisten in Deutschland. Nach Stationen bei „Stern“ und „Spiegel“ leitet der Mann, der vor allem für die Pharmaindustrie ein rotes Tuch ist, seit drei Jahren das Berliner Büro des Investigativressorts von NDR und WDR.

Ein Schwabe in Berlin. Muss man sich um ihn Sorgen machen? Natürlich nicht. Er ist nicht allein. Seine Landsmannschaft ist neben der türkischen die größte in der Hauptstadt. Man spricht schwäbisch. Markus Grill hat fern der Heimat den Farbton in seinem Hochdeutsch behalten. Er ist ihm in die Wiege gelegt worden. 1968 in der damals noch selbstständigen Stadt Wasseralfingen. Als Jung-Achtundsechziger steht er den Alten, die in jenem Jahr damit so richtig begonnen haben, den Mief unter den Talaren auszuräuchern, an Aufmüpfigkeit in
nichts nach.

Ein aufmerksamer Blick unter hoher Stirn – „Dinge  ans Licht zu bringen, die verborgen bleiben sollten“, ist nach wie vor Grills Leitmotiv.

Früh zeigt er als freier Mitarbeiter einer örtlichen Tageszeitung sein Talent, Recherche in präzise Sprache umzusetzen. Nach dem Abitur hat er in Freiburg und Berlin Geschichte und Germanistik studiert. Sein journalistisches Handwerkszeug hat er als Volontär bei der „Badischen Zeitung“ geschärft. Sie galt mal als Kaderschmiede für außergewöhnliche Journalisten. Folgerichtig hat auch der Mann von der Ostalb seinen Weg in die erste Bundesliga seiner Disziplin gemacht. Jetzt, mit 52 Jahren, sitzt er mir am PC online gegenüber. Mit aufmerksamem Blick unter der hohen Stirn und einem gewinnenden Lächeln um die Lippen. Lange her, dass er seine einst noch auf der Schreibmaschine getippten Artikel in die Redaktion gebracht hat. Vor fünf Jahren mit seiner Frau, der TV-Journalistin Karin Dohr, aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt, leitet Markus Grill seit drei Jahren das Berliner Büro des Investigativressorts der beiden Rundfunkanstalten NDR und WDR. In dieser Funktion darf er allerdings nicht mehr forsch und unbekümmert wie zu seinen Zeiten bei „Stern“ und „Spiegel“ („Da konnte man alles machen“) seine gefragte Spürnase in miese Geschäfte stecken, korrupte Strukturen aufdecken und der Pharmaindustrie auf die Nerven gehen. Gleichwohl sind Gesundheitsthemen im weiten Sinne wie in den zwei Jahren als Chefredakteur von „Correctiv“, dem ersten gemeinnützigen Büro für investigativen Journalismus in Deutschland, nach wie vor einer seiner Schwerpunkte.

DEU, Berlin, 16.01.2009, medium magazin, Preisverleihung an die “Journalisten des Jahres 2008”, Cafe im Zeughaus im Deutschen Historischen Museum.
c Dietmar Gust

In dieser Zeit hat er 2016 seiner Preissammlung zwei weitere hinzugefügt; den Reporterpreis „Beste Innovation“ und die Auszeichnung der „Correctiv“-Redaktion durch das „Medium Magazin“ als „Team des Jahres“. „Wir bearbeiten schwierige Stoffe und überlegen, in welches Gefäß wir sie stecken“, beschreibt er seine aktuelle Arbeit. Die er wohl mit leicht angezogener Handbremse verrichtet. Vogelwilde Nachforschungen nach „Stern“-Manier, räumt er – wie erwähnt – ein, „gehen jetzt nicht mehr“. Was nicht bedeutet, dass er „schwierige Stoffe“ mal lieber liegen lässt. Im Gegenteil. Sich aufwendige Recherchen leisten zu können, empfindet der Journalist als Luxus; jedoch einen „der wichtig ist“. Unangenehmes über zwielichtige Geschäfte und deren Betreiber zu schreiben, sieht er nach wie vor als erste Journalistenpflicht an. Auch wenn die Betroffenen am nächsten Tag mit dem Rechtsanwalt vor der Tür stehen. Weshalb die Geschichten wasserdicht sein sollten – und auch sind, wie Grill feststellt. Zu schätzen weiß er, dass seine Redaktion „sendungsunabhängig“ ist. Auf keinen Sendeplatz als Zuarbeiter festgelegt, kann er ein breites Spektrum an Themen abklopfen. „Unangenehmes“ findet der Schwabe in Berlin nach wie vor „total spannend“; allerdings weiß er auch, dass seine Freiheit in der neuen Funktion nicht grenzenlos ist. Der deutsche Föderalismus verlangt im „Ersten“ viel Fingerspitzengefühl, um keine Landesanstalt zu vergrätzen.

Weitaus größere Sorgen bereitet ihm allerdings eine Entwicklung, die er durch die Corona-Pandemie beschleunigt sieht. Sah er vor der Viruswelle seine Aufgabe noch „eher darin, Missstände aufzudecken“, sei jetzt „mehr Deutung und Expertenwissen“ gefragt. Gerade weil in den Sozialen Medien der kritische Umgang mit verschiedenen Entwicklungen, die nachdenklich stimmen, „von manchen nicht mehr gefragt ist“. Deshalb nennt es Markus Grill besonders wichtig, zu vermitteln, was man als seriöser Journalist macht. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die mit dem Internet und seiner verwirrenden Zahl an unterschiedlichsten Spiel-, Filmund Informationsangeboten groß werden. Ganz konkret haben sich in Berlin rund 50 Journalistinnen und Journalisten zusammengeschlossen, um in Schulen Aufklärungsarbeit über ihr Tun zu betreiben, wie der Investigativ-Pressemann berichtet. Über mangelnde Nachfrage nach diesem Angebot könnten sie sich nicht beklagen.

Auf Reisen: Mit seiner Frau Karin Dohr
genießt er im Sommer 2020 im Café Florian in
Venedig das Leben.

Hört man dem innovativen Investigativen aus Wasseralfingen zu, fragt man sich, ob er neben seinem Beruf überhaupt noch zu etwas anderem Zeit hat. Zum Beispiel Freizeit. Grill erklärt lächelnd, warum er die nicht braucht: „Mein Beruf ist mein Hobby.“ Seine Frau und die beiden Söhne kann er jedoch nicht einfach in seinem Hobby vereinnahmen. Zum Glück reisen sie alle gerne. Was im Moment jedoch etwas schwierig ist. Ein Trip in die schöne österreichische Heimat von Karin Dohr fällt flach. Und ob man sich wieder traditionell in größerer Runde mit den alten Bekannten und Freunden zum Jahreswechsel in Aalen treffen kann, steht ebenfalls in den Sternen. Da hilft nur noch Gottvertrauen. Das hat der Schwabe. In Berlin gehört Grills Familie am Prenzlauer Berg zur selben katholischen Kirchengemeinde wie der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Den „bekanntesten Schwabenkritiker“ der Hauptstadt trifft Markus Grill ab und an beim sonntäglichen Gottesdienst. Die Kirche ist zwar ein Ort des Friedens. Doch wie begegnen sich der Schwabe und sein Kritiker danach vor der Pforte? Grill grinst vergnügt.

Wolfgang Nußbaumer

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