Von Verletzung und Verzeihen
Die Sprache ist ein Medium, die sowohl heilende Medizin als auch schmerzende Verletzung sein kann. Manchmal genügt sogar ein schlichtes Schweigen, also ein nichtsprachliches Zeichen, um dem anderen seelische Schmerzen zuzufügen. Zwischenmenschliche Verletzungen lösen in einem eine Kaskade von Ereignissen aus, die in einem bleiben, lange Zeit, sehr lange Zeit.
Verletzungen von Menschen ändern die Sichtweisen dramatisch von einem Augenblick zum anderen. Wieder in eine Normalität zurückzufinden ist sehr schwer. Es ist eine Aufgabe, von der man oft genug nicht weiß, ob man sie überhaupt in Angriff nehmen soll. Denn wie kann man jemandem, der einen verletzt hat, denn wohlwollend entgegenkommen und ihm verzeihen? Schließlich hat er ein negatives Gefühl in einem hervorgerufen.
Tagtäglich werden wir öfter verletzt als wir es vielleicht wissen. Wir merken es oft erst nur dann, wenn wir uns irgendwie unwohl fühlen oder/und wenn unsere Energie oder Motivation nachlassen.
Verletzungsszenarien gibt es zuhauf, manchmal sind sie bedeutsamer, dann wieder banaler Natur: „ Ich will Schluss machen”. – „Du kannst nicht kochen” – „Dein Essen schmeckt mir nicht” – „Du bist genauso niveaulos wie alle da draußen” – „Ohne dich ginge es mir viel besser” – “Du redest nur Müll” – „Es gibt keine Gehaltserhöhung” – „Du kannst dass nicht” – „Du bist schlechter als der Vorgänger” – „Du kannst nicht verkaufen” – „Ich liebe dich nicht.”
So gibt es kleine und sehr große Verletzungen zwischen den Gesprächspartnern. Analysieren wir doch mal einen solchen Moment, wo man verletzt wird. Die Wörter schlagen wie eine Bombe in einem ein. Man hört es, schlagartig ändern sich die Stimmung, die Gefühle und auch die Gedankenlage. Ist man ein guter Schauspieler, kennt man sich selbst gut, kann man es so verbergen, dass der andere nicht merkt, dass man verletzt wurde. Bei weniger guter Selbstbeherrschung merkt der andere direkt die Veränderung, im Gesicht und auch in der Tonlage.
Tief im Innern hat man einen Volltreffer bekommen. Eigentlich hätte man etwas anderes erwartet, etwa eine Zustimmung, eine Aufmunterung. Aber was anderes ist eingetroffen, etwas will gegen uns gehen. Es greift uns an, ist nicht mit uns, der Freund ist kein Freund mehr. Freude verletzten einen nicht. Die Seele ist gekränkt und verletzt. Eine Verletzung hat niemals Bestärkung dessen, was man tut, denkt, fühlt, zur Folge.
Bei einer Kränkung kommt es immer zum Durchbruch des Schutzschildes mit den unterschiedlichsten Mitteln (Waffen). Das reicht von einer kleinen Meinungsverschiedenheit, einem Dagegenhalten in Form von Argumenten über Besserwisserei und unbedingtem Rechthabenwollen bis zur Beleidigung höchster Form.
Dabei spielen die augenblicklichen Befindlichkeiten in einem eine große Rolle: in welchem Zustand befindet man sich gerade? Sind alle großen, einen wirklich bewegenden Themen des Lebens unter Kontrolle, wird der Angriff gut überstanden. Sind aber die meisten Themen nicht bewältigt oder ungelöst, kann die Verletzung tiefer eindringen und auch länger in einem wirken.
Dann spielt natürlich auch noch die eigene Wesensstruktur eine sehr große Rolle: ist man eher ein emotionaler Mensch, reagiert man eher aggressiver. Ist man etwas unterkühlt, wird man gelassener, ja vielleicht sogar passiv reagieren.
Was für eine Lösung gibt es nun, wenn man angegriffen worden ist und man mit Gedankenkreisläufen und Stimmungsschwankungen zurechtkommen muss? Die beste Lösung ist immer die, dass man sich mit dem versöhnt, der einen verletzt hat. Entweder fordert man eine Entschuldigung oder eine Erklärung. Was aber nicht unbedingt immer sofort möglich ist. Generell ist es ja schwierig, die verletzten Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Gespräche sind die erste Medizin und wahrscheinlich auch die einzig gute. Ablenkung ist auch eine sehr gute. Das reicht vom Sport bis zur Arbeit. Bis die Seele sich beruhigt hat. Denn man muss sich im Klaren sein: die Seele reagiert auf Verletzungen.
Mit Sicherheit würde man für sich etwas ganz anderes wünschen: eine größere Immunität! Die hat wohl keiner von uns, denn wir wären dann Roboter.
Dimitrios Gorlas