IN DER ERZIEHUNG IST FÜHRUNG GEFRAGT
Es ist paradox: In den Vielkind-Familien der Vergangenheit hatte man kaum Zeit, sich viel Gedanken um Erziehung zu machen. Meistens funktionierte diese aber. In den Ein- oder Zweikind-Familien der Gegenwart verzweifeln viele (meist die Mütter) am Thema Erziehung und verlieren dabei sich selbst. Ratgeber-Bücher füllen ganze Regale. Nun biegt der in Dänemark äußerst populär Erziehungsexperte Jesper Juul um die Ecke und empfiehlt, was viele schon immer wussten: Der Kuschelkurs bringt uns nicht weiter. Eltern müssen Leitwölfe sein, Führung übernehmen, auch Machtkämpfe austragen. Harmoniesucht und Dienstboten-Mentalität führen zu nichts.
Jesper Juuls Buch, das sich in diesem Jahr in dänischen und deutschen Bestseller-Listen fand, trägt denn auch den Titel „Leitwölfe sein. Liebevolle Führung in der Familie“ (Beltz-Verlag). Wer nun glaubt, der Autor rede einem alten autoritären Erziehungsstil das Wort, der irrt. Juul, 67, der schon mal als „Sokrates der modernen Pädagogik“ bezeichnet worden ist, kommt nach all den Jahren seiner Tätigkeit zur Erkenntnis, dass viele Probleme der heutigen Erziehung im Elternhaus von einem Mangel an Führungsqualität verursacht werden.
WENN SICH ELTERN VERLIEREN
Er beklagt, dass viele ihr Elternsein wie eine Art Theaterrolle nur vorspielen – und zwar auch sich selbst gegenüber. „Eltern scheinen zu glauben, dass sie besser oder anders sein müssten, um gute Eltern zu sein.“ Unter anderem, weil sie ständig andere Eltern beobachten, sich an einem bestimmten Bild in den Medien orientieren. Sie wollten das sein, was man ,gute Eltern’ nennt, gute Zeitgeisteltern, aber sie verlören oft dabei persönliche Substanz, Echtheit, Wahrhaftigkeit. Kinder spürten das.
Juul fordert „persönliche Autorität“ ein: „Sie kommt von innen, sie reflektiert die eigenen Werte. Sie zeigt, was man will und was man nicht will.“ Daher wird Eltern auch geraten, egoistisch zu sein. Das heißt, Eltern müssen auch in der Lage zu sein zu erklären, dass sie auch mal ihre Ruhe haben wollen, nicht mit dem Kind spielen wollen oder dass Vater und Mutter jetzt auch mal zwei Stunden für sich haben möchten.
ELTERN SIND NORMALE MENSCHEN
Dies seien für Kinder „Lehrstunden in Sozialverhalten“. Auch Eltern haben Bedürfnisse und Kinder können nicht immer alles bekommen, was sie wollen. – Eigentlich banale Erkenntnisse, die jeder abnicken kann. Dennoch sind heute viele Eltern mit der Erziehung so überfordert, dass oft die banalsten Allerweltsweisheiten nicht umsetzen können. Juul in einem Interview auf die Frage, weshalb Eltern auch egoistisch sein müssten: „Damit Kinder mit normalen Menschen aufwachsen und nicht mit persönlichen Handlangern.“
Deshalb müssten sich Vater und Mutter auch auf „Machtkämpfe“ mit ihrem Kind einlassen, denn es sind die Kinder, die kein Problem damit hätten, für ihre „Autonomie“ härteste Kämpfe auszufechten. Eltern müssten „Leitwölfe“ sein, klar die Führung in der Familie haben. Was nicht bedeute, nicht auch mal nachzugeben. Nachgeben als „Strategie“ (um seine Ruhe zu haben), zahle sich aber nicht aus. Und: „Nur wenn wir wissen, wie sich Streit anfühlt, können wir Harmonie schätzen.“
GUT GENUG IST PERFEKT
Jesper Juul fordert auch dazu auf, damit aufzuhören, mit den Kindern Hausaufgaben zu machen, auf Klassenarbeiten zu lernen, kurz den Schulunterricht zuhause zu verlängern. Eltern stünden damit als „ewige Besserwisser“ da. Das Selbstvertrauen der Eltern würde gesteigert, aber nicht das der Kinder. Fazit: Eltern müssten aufhören perfekt sein zu wollen. „Gut genug ist perfekt.“
Ragna für GFM