KEINE CHANCE DEN MASERN

Wolfs Revier

Unvergessen der Berliner Otto Reuter und seine Couplets. „Wie reizend sind die Frauen“ heißt eines seiner zahlreichen kessen Lieder mit traurigem Zungenschlag. Eine davon kommt sorgenvoll mit ihrer Tochter zum Arzt, weil diese dauernd die Farbe wechselt, mal blass und mal rot wird. Der prüft den Fall „und merkt, die kriegt ’n Kind“. „Sind’s Masern?“ fragt die Mutter, der Doktor aber spricht: „Ne Kinderkrankheit is es, doch die Masern sind es nich.“ Damals in den „Goldenen Zwanzigerjahren“ konnten die Masern wie einige andere Kinderkrankheiten schwere Komplikation oder sogar den Tod zur Folge haben. Erst durch massenhafte Impfungen 60 Jahre nach Reuters Lied konnte die Krankheit vor allem auf dem amerikanischen Kontinent und in Europa entscheidend eingedämmt werden. In Skandinavien liegen die Erkrankungsraten am niedrigsten. In Baden-Württemberg verzeichnen die Gesundheitsbehörden bis Ende März eine starke Zunahme auf über 40 Masernfälle.

Umso unverständlicher ist, dass immer wieder in erster Linie aus den Reihen der „Grünen“ wie in ihrer Hochburg Freiburg oder in Berlin am Prenzlauer Berg mit dem Selbstbestimmungsrecht der Eltern gegen eine Impfung argumentiert wird. Schlimmer noch: Die Immunisierung durch eine Ansteckung sei halb so schlimm. Zwar erleiden nur zehn von 10 000 Erkrankten eine Gehirnentzündung, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) feststellt – doch wenn das eigene Kind zu den Leidtragenden zählt? Außerdem schwächen Masern, wie das BZgA warnend feststellt, vorübergehend das Immunsystem, zusätzliche Erreger können Komplikationen wie Mittelohrentzündung, Bronchitis oder Lungenentzündung verursachen. Dann behält man die Kinder eben ein paar Tage zu Hause bis die Beschwerden abgeklungen sind. Ohne zu bedenken, dass das eigene Kind in der Kita oder im Kiga bereits andere Kinder angesteckt haben könnte. Kinder, die wegen anderer Risiken nicht geimpft werden durften und nun massiv bedroht sind. Mehr Egoismus geht kaum.

Die Behauptung, dass die gesundheitlichen Schäden bei Geimpften weitaus häufiger wären als jene bei Ungeimpften, hat unter anderem das Robert Koch-Institut in Berlin deutlich widerlegt. Masern zählen nach wie vor zu den ansteckendsten Viruserkrankungen. Dagegen hilft nur Impfen. An einer Pflicht zur Impfung scheiden sich indes die Geister. Genießt das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ einen höheren Rang, als der Schutz von Gesundheit und Leben anderer Menschen? Eine mögliche Antwort lässt sich aus der Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung vom 21. November 1986 herauslesen: „Gesundheit wird von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt, dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in der Lage ist, selber Entscheidungen zu fällen und Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“

In einer Geburtstagsrunde hat unlängst ein grüner Pädagoge auf sein Selbstbestimmungsrecht als Vater gepocht. Er entscheide über Wohl und Wehe seines Kindes und nicht der Staat. Ganz abgesehen davon, dass die Impfung ohnehin umstritten sei. Assistiert wurde er von einer Mutter. Sie meinte, man könne sein Kind ja zwei Wochen zuhause lassen, bis der Kindergarten wieder frei von Masern sei. Der Rat wird vor allem berufstätige alleinerziehende Frauen oder Männer gefallen. Im Grunde entlarven sich beide Positionen als blanker Egoismus. Wer sein Selbstbestimmungsrecht in dieser Weise auslegt, beugt das Recht. Niemand sollte gezwungen werden, sein Kind impfen zu lassen. Aber ins Gewissen reden sollte man ihm schon dürfen. Selbstbestimmung kann nur in einem System funktionieren, das auf Gegenseitigkeit angelegt ist. Sonst mündet sie im Chaos. Bei Mäusen, Masern und Menschen. Noch ein Beispiel auf höchster Ebene: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker setzt ein gemeinsames Verständnis von Völkerrecht voraus. Sonst lässt es sich nicht durchsetzen. So betrachtet haben die Vereinten Nationen Masern – und keine Chance auf eine Impfpflicht.

Wolfgang Nußbaumer

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