DER IMPULS IST IMMER FRISCH

Mit Performance, Vorträgen und Ausstellungen blickt Alfred Bast zurück auf 50 Jahre Kunst und voraus in sein 70. Lebensjahrzent.

Rhythmisches Klopfen klingt durch den weiten Kirchenraum. Ist es Begleitmusik zu der Zeichnung „Lichtgrund“, die sich am Boden der Johanniskirche in Schwäbisch Gmünd ausdehnt? Passen würde der Rhythmus des Schlaggeräts zum Rhythmus des Bildes. Tatsächlich bessert Alfred Bast gerade mit Marmormehl eine kleine Delle seiner temporären Installation aus. Tatsächlich bedingt offenkundig das eine das andere. Typisch Bast. Zehn Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Doch auch mit bald 70 Lenzen scheint sein künstlerischer Forscherdrang ungebrochen. „Bast 50 Jahre Kunst“ nennt der in Abtsgmünd-Hohenstadt und Berlin lebende Künstler eine Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen zu seinem 70. Geburtstag, den er am 22. September feierte. 1968 hat der gebürtige Gmünder in seiner Heimatstadt damit begonnen, seine „bildnerische Wahrnehmungs- und Gestaltungswerkstatt“ einzurichten. Da war Bast 20 Jahre alt. In seinem Jubiläumsjahr zeigte die Galerie Spitalmühle bis 16. September eine Ausstellung mit Zeichnungen zur Heilpflanze Echinacea, des Sonnenhuts. Deren Titel beschreibt zugleich einen wichtigen Aspekt seines Schaffens: „Von der sichtbaren Gestalt zur unsichtbaren Wirkung.“

Dieser Prozess des Einrichtens hält bis heute an. In dem Maße wie er fortschreitet, wächst die Zahl der Werkzeuge, komplettiert der Maler die Ausstattung. Jede neue Idee verlangt zur Umsetzung nach neuen Mitteln. Die Linien und chiffrenartige Zeichen des „Lichtgrunds“ wollte der Künstler mit Marmormehl auf den Boden aufbringen. Aber wie den Kunst-Stoff richtig dosieren? Die Lösung fand Alfred Bast, als sein Blick auf ein rundes Etui für seine Malutensilien fiel. Damit konnte er Dicke und Höhe der Details durch sanftes Klopfen auf das mit Marmormehl gefüllte Rohr exakt bestimmen. So hat er sich unter den Deckenfresken der Kirche seiner Kindheit („Sie war mein wichtigster Ort“) vorangearbeitet. Immer in der Hocke. Wie der Körper das aushalte? „Man ist so konzentriert, dass man die Mühe des Leibes nicht spürt, zumal das Ergebnis ja unmittelbar beflügelnd auf einen zurückwirkt“, erläutert Bast.

Der Blick des Kindes auf die Fresken und Ornamente hat den bildnerischen Stoff mit aufgesogen, der Jahre später in der Werkstatt verarbeitet worden ist. In Basts unverkennbarer Handschrift, in der sich geistige Metaphorik mit den Zeichen der Natur verbindet. Insofern sind für den zeichnenden Maler Abstraktion und Gegenständlichkeit bis zum Fotorealismus nur zwei Seiten einer Medaille. Das hat beispielhaft die temporäre Installation in der Kirche seiner Kindheit gezeigt. In dieser Kirche mit ihrer reichen Ausgestaltung wollte er keine Bilder zeigen, sondern die einzige Fläche bespielen, die noch nicht gestaltet worden ist. Den Boden. Auf ihn hat er die riesige Ellipse des „Lichtgrunds“ mit Marmormehl gezeichnet. In seiner Ornamentik und Zeichensprache hat er den Raum aufgefangen und ist mit ihm in den Dialog getreten. Bei Alfred Bast war und ist dieser Wille zur Form immer zielgerichtet auf die Aneignung von Welt in ihrer stofflichen und geistigen Dimension. Dieser Dualismus durchzieht sein Schaffen in unterschiedlicher Gewichtung.

CHAOS UND ORDNUNG

Das übergeordnete Modell, das auch diesen längst vergangenen „Lichtgrund“ bestimmt hat, heißt Chaos und Ordnung. Eines erwächst aus dem andern. Überzieht man jedoch die Ordnung, stürzt sie ins Chaos. Mit diesem Gegensatzpaar verbindet sich in der künstlerischen Arbeit des Baldsiebzigers untrennbar ein anderes: Auflösung und Verdichtung. Kosmisches Prinzip und Weltenrätsel zugleich. Werden und Vergehen. Ihm spürt er nach. Früher hat er die Natur für die eigene kosmische Sicht benützt, hat Äste, Blätter, Pflanzen, Früchte mit dem Buntstift zu Spiralen geformt. Oder direkt mit dem durch ein Brennglas gebündelten Sonnenlicht in die Leinwand gebrannt. Diese Idee fortführend, lässt er später seine kosmischen Zeichen mit dem Laser in Edelstahl-Stelen schneiden. Mit dem Zeichnen hat er die Natur entdeckt, die zu seiner Akademiezeit auf dem Index stand, hat ihre Gesetzmäßigkeiten wahrgenommen. „Natur ist Symmetrie und goldener Schnitt bis in kosmisch-planetarische Bewegung hinein“, erklärt der Künstler. Er setzte sich mit der Evolution auseinander und kam zwangsläufig auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Heute sagt Bast: „Es muss eine spirituelle Realität geben, die ich nicht fassen kann.“ Gleichwohl zieht sie sich als Resultat seiner Selbsterfahrung als kreativ Suchender durch sein Schaffen. Als zeitlose Metasprache, die man wahrnehmen kann – aber nicht muss.

In diesem Kontext weist der Maler und Zeichner auf einen ihm sehr wichtigen kommunikativen Aspekt hin. Über die Kunst könne man „die Einsamkeiten erlösen“. Indem der Künstler die eigene Subjektivität so in Form bringt, dass sich ein anderer darin wiederfinden kann. Er verhehlt jedoch nicht das Wahrnehmungsrisiko für den Betrachter: „Man belügt sich doch auch als Künstler immer wieder selbst.“ Deshalb ist ihm die Begriffsbildung in Wort und Schrift begleitend zur Kunst sehr wichtig. „Denken ist ein schöpferisches Werkzeug. Warum soll ich die eine Disziplin nicht durch andere ergänzen, sie dadurch farbiger machen?“, fragt er, und reicht die Messlatte gleich nach: „Zwischen dem Geschwätz über etwas und dem Nachdenken über etwas besteht doch ein wesentlicher Unterschied.“ Der Maler Alfred Bast hat viel geschrieben. Nachdenkliches und Bedenkenswertes über seine Kunst, über sein Verhältnis zu ihr und zur Welt. Trotzdem will er eines nicht sein. „Ich bin kein Philosoph!“ Und geschwätzig will er Goethes Mahnung gedenkend, gleich gar nicht sein: „Bilde, Künstler! Rede nicht! Nur ein Hauch sei dein Gedicht!“ Also bitteschön nicht mit dem verbalen Holzhammer argumentieren.

DIE FREUDE DER HÄNDE

In seinen „Werkbüchern“ dokumentiert er seit 50 Jahren Prozesse, Projekte und Erfahrungen. Die Nummer 210 trägt den Titel „Afrika – Rhythmischer Wille“. Das sehr schön aufgemachte Skizzenbuch hält in Handschrift, Fotografie und Zeichnung seinen Aufenthalt als „Artist in Residence“ im Frühjahr 2008 im Goethe-Institut der senegalesischen Hauptstadt Dakar fest. In seinem Vorwort zu diesem Projektbericht findet sich ein wohl der Philosophie der „Rosenkreuzer“ geschuldeter Absatz, der sich wie ein Credo zu seinem 70. Geburtstag liest: „Um Probleme zu lösen, brauchen wir Kraft. Woher diese beziehen, wenn nicht aus dem Leben, der lebendigen Wahrnehmung selbst? Aus der Freude der Hände beim Trommeln, den Rhythmen der Linien beim Zeichnen, den Wirkungen der Farben … und all die vielen anderen Möglichkeiten, die eine schöpferische Intelligenz zu eröffnen in der Lage ist.“ (In Wikipedia werden die Rosenkreuzer als „heterogene spirituelle Gemeinschaft“ beschrieben. Neben ihren vielfältigen Ausformungen hat sie Wurzeln bei den „Freimaurern“ und bei Rudolf Steiners Anthroposophie). Offenheit gegenüber sich selbst und der Welt nennt Alfred Bast als unabdingbare Maxime für einen fruchtbaren kreativen Prozess. Und den Mut, „immer wieder die Brücke des Ungewissen zu betreten.“ Wie er es unter anderem in den letzten Jahren mit der Ölmalerei auf Leinwand tut. Diese Technik mache die Dinge dichter, unterstreiche ihren Dingcharakter als physisch-sinnliches Objekt. Das gehört zur Dialektik von Alfred Basts kreativem Handeln. Die Ölfrucht dient als Ding an sich, als Gegenpol zur Transparenz mit dem Weiß als letzte Konsequenz, als pure Energie. Zwischen diesen beiden Polen bewegt er sich.

Warum er in Bewegung bleiben muss, erklärt der Künstler so: „Sobald man einer Sache gewiss ist, muss man Neues beginnen, weil man sonst reproduziert.“ Er hat keine Sorge, dass ihm die neuen Ufer ausgehen könnten, dass der Aufbruch kein Ziel mehr hat. Ganz nüchtern stellt Bast fest: „Der Impuls ist immer frisch.“

Alle Infos zu den Ausstellungen „Bast 50 Jahre Kunst“ finden Sie unter www.alfred-bast.de

Text: Wolfgang Nußbaumer // Bilder: Alfred Bast

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