GOLF R – WOLF IM CAMOUFLAGE

ER KOMMT IM CAMOUFLAGE DAHER, IN TARNKLEIDUNG. DOCH MIT SEINEN 300 PS UND SENSATIONELLEM FAHRWERK IST DER GOLF R EIN WAHRER WOLF-GOLF. Text & Bilder – GFM-TestTeam: H.Bredl &...

ER KOMMT IM CAMOUFLAGE DAHER, IN TARNKLEIDUNG. DOCH MIT SEINEN 300 PS UND SENSATIONELLEM FAHRWERK IST DER GOLF R EIN WAHRER WOLF-GOLF.

Text & Bilder – GFM-TestTeam: H.Bredl & N. Kouroumalos

 

Wie man aus der Kompaktklasse ein kompaktes Kraftpaket hervorzaubert – das beweist der Golf R. Er ist mit seinen 300 PS der (vorläufige) Endpunkt einer Erfolgsgeschichte, die mit dem Golf GTI in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre ihren Anfang nahm. Der hatte damals sensationelle 110 PS bei knapp über 900 Kilo Gewicht. Das Schwäbisch Gmünder Autohaus Wagenblast stellte uns eine ihrer R-Raketen zu einer mehrtägigen Probefahrt zur Verfügung.

Die Modellreihe Golf war ursprünglich ein hochriskantes Unterfangen von Volkswagen. Es galt Anfang der Siebzigerjahre nach der hoffnungslos veralteten VW Käfer-Technik, die mittlerweile auch in sperrigen Limousinen und Kombis verbaut wurde, einen völlig neuen Antrieb zu schaffen, ein völlig neues Auto, das wie der Käfer das Zeug zum Massenauto hatte. Genau das hat funktioniert. Mehr noch – der Golf war Namenspate einer neuen Autoklasse, eben der Golf-Klasse. Und er war und ist bis heute dort der Maßstab, auch wenn die Mitbewerber auf dem Markt von der „Kompaktklasse“ schrieben und sprachen. Am Golf haben sich fortan ganze Generationen von Ingenieuren und Fahrern anderer Marken abgearbeitet.

 

Golf R Auspuff

Der Meister seiner Klasse

Wichtig dabei waren vor allem die ,Zugpferde’ des jeweiligen Kompaktsegments anderer Hersteller, eben die leistungsgesteigerten Modelle. Aber egal ob ein Opel GSI-Fahrer sich den Aufkleber „Golf-Jäger“ an das Heck pappte oder etwa Ford oder Peugeot mehr Leistung in einen kleinen Wagen pumpten – niemandem gelang es je, am Image des Golfs als Meister seiner Klasse ernsthaft zu kratzen.

Das gilt nicht nur für die Power-Golfs, das gilt für die ganze Klasse. Golf-Modelle sind zwar häufig teurer als vergleichbare Autos anderer Hersteller. Dafür gelten sie als ausgesprochen wertstabil. Hochwertigkeit in Motoren- und Fahrwerkstechnik und in der Ausstattung und eine klare Formensprache, die irgendwo zwischen gehobener Biederkeit und untertreibender Eleganz anzusiedeln sind, ist das Geheimnis dieses Erfolgs.

 

Stil-Ikonen der Klasse

Der kantige Golf 1 und der Golf IV gelten als Stil-Ikonen ihrer Klasse. Und mit dem Golf VII ist es gelungen, den Makel der als eher einfallslos geltenden Varianten Golf V und VI anzustreifen.

Und noch ein vielleicht vermessener Vergleich sei erlaubt: Mit den (Hochleistungs-)Varianten des Golfs ist es wie mit dem 911er-Porsche: Andere habe auch aufgerüstet und sind genau so oder noch teurer, den ,immateriellen Wert’ (Image) haben sie nie erreicht. Und wenn es um materielle Fakten geht, zählt nicht nur die Motorleistung oder ein Luxus-Ausstattungsdetail. Die Fahrwehrstechnik eines 911er oder eines Golf GTI oder Golf R ist sensationell und sorgt dafür, dass dies den Fahrzeugen in Vergleichstests entscheidende Punkte gegenüber der Konkurrenz liefern.

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Ritt auf der Kanonenkugel

Das ist mit dem Golf R nicht anders. Eine Fahrt mit dem völlig ohne Krawall-Design auskommenden Kompakt-Racer ist zum einen eine Art maximales Go-Kart-Rennen, zum anderen so was wie der Ritt auf der Kanonenkugel. Zum ,Go-Kart-Golf’: Er rauscht hart, aber nicht bretterhart, präzise ruckzuck um die engsten Kurven, wie auf Schienen gezogen. Da muss man höllisch aufpassen, dass man sich nicht überschätzt. In den Vorgängermodellen war eine Ausreizung der Möglichkeiten nicht möglich, das ESP war nicht abschaltbar. Nun schon, dafür wurden aber zusätzliche (elektronische) Sicherheiten eingebaut.

 

Ingenieure hatten Spaß

Man merkt, dass der Fahrspaß Priorität bei den Ingenieuren gehabt haben muss. Die Lenkung spricht außerordentlich direkt (direkt übersetzte Progressivlenkung), aber homogen an. Der Allradantrieb wurde deutlich verbessert, das heißt, die Ansprechzeiten der Haldexkupplung wurden verringert. Zur sicheren Kurvenhatz trägt aber enorm die Neuversion des elektronische Helfers XDS+ bei. Das ist schlicht eine Verbesserung der bekannten elektronischen Differenzialsperren.

Die Elektronik achtet auf die Belastung der Räder. Wenn etwa ein ,inneres Rad’ in der Kurve zu wenig Last bekommt, wird durch ESC (Electronic Stability System) ein Bremsdruck auf diesem Rad erzeugt, die Traktion wird optimiert. Das ist die Wirkung eines Quer-Sperrdifferentials, das das Untersteuern verhindert, wenn man durch eine Kurve im Grenzbereich durchflitzt.

 

Erste-Liebe-Faszination

Noch nie sind wir derart flugs mit derart Spaß durch die Kurven gekommen. Wenn man da an die Tage des GTI 1-selig denkt, bekommt man späte Albträume angesichts jener ,Steinzeittechnik’. Andererseits: Das war damals höchste Ingenieurskunst. Und vielleicht war der Fahrspaß damals noch viel höher, weil man so etwas zuvor einfach nicht kannte. So was nennt man bekanntlich die Erste-Liebe-Faszination. Aber, wie man weiß, im Laufe der Beziehung steigen auch die Ansprüche. VW lieferte den ,Pirelli-Golf’ (112 PS), ein gut erhaltenes Exemplar erzielt heute Höchstpreise. Es gab eine G60-Laderversion. Heutige GTIs haben über 200 PS. Dann kamen die Sechszylinder: VR 6 (174 PS), V6 (204 PS) und schließlich R32 (mit einem 241-PS-Phaeton-Moror) und kernigem, bis heute unerreichtem Golf- Sound und unerreichter Laufkultur. Den Sechszylindern trauern daher heute noch viele Golf-Fans nach. Schließlich folgten die reinen R-Versionen (die letzte verfügte über 270 PS) mit nur noch 4-Zylindern (erhöhte Umwelt- und Verbrauchstandards).

 

Komplett überarbeitet

Der R-Motor wird höchsten Ansprüchen gerecht. Der TSI-Turbocharger ist der bislang stärkste Serien-Golf-Motor aller Zeiten (und wird übrigens auch im Audi S3 verbaut). Er wurde komplette neu überarbeitet: Von den Auslassventilen bis zu den Ventilfedern. Die Direkteinspritzung und die Turbo-Aufladung sind ebenfalls neu. Bereits ab 1.200 Touren steht ordentlich Leistung zur Verfügung. Bei 3000 Umdrehungen wird der maximale Ladedruck von 1,2 bar erreicht. Fährt man im Eco-Modus, liegen 30 PS weniger an, der Verbrauch sinkt. Das ist auf langen Autobahnfahrten zu empfehlen. Ansonsten hat man das Gefühl, man zuckelt mit einem 75-PS-Golf durch die Gegend.

 

Golf R beschleunigt

Man wird geschossen

Sport-Modus und volles Programm auf der freien Autobahn sind dagegen der Ritt auf der Kanonenkugel. Man fährt nicht, man wird geschossen, katapultiert. Dennoch ist man nicht mit einer Carlo-Krawallo-Kiste unterwegs. Schaltet man den Kunstsound aus, gibt sich der R dezent-sonor. Wie das gesamte Auto nur beim Kenner auf den ersten Blick so wirkt, was es sein soll: Ein Understatement-Wolf im Schafspelz. Das war schon immer so bei den Fast&Furious-Golf-Versionen: Keinerlei Aufmotz-Spoiler-Gerümpel. Nur größere Einlass-Gitter an der Front, 5 Millimeter Tierferlegung gegenüber dem GTI, hinten 4 Endrohre. Und zwei R-Zeichen an Front und Heck.

„Rasende Aschenbecher“ nannte man früher die Power-Golfs. Da hat schon mancher zunächst vorausfahrender Power-Limousinenfahrer die Zigarette neben dem Aschenbecher abgetippt. Übrigens: Ein Golf R400 soll kommen. Er soll so viel leisten wie er heißt.

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Faszination Fahrzeug

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