Rechtlich erlaubter Selbstschutz im Rettungswesen

Alfred Brandner

Rechtlich erlaubter Selbstschutz im Rettungswesen

Man darf nicht überreagieren und die Mittel der Gegenwehr müssen dem Angriff angemessen sein.

Nahezu täglich gibt es Gewalt gegenüber Einsatzkräften. Ersthelferinnen und Ersthelfer müssen in der Lage sein, gefährliche Situationen zu erkennen und folgerichtig zu handeln. Gewalttaten gegen Menschen, die anderen in Not zur Hilfe eilen, mehren sich,.und die Wurzeln der Gewalt liegen meist einzig und allein in der Persönlichkeit der Täter. Diese haben kein Gespür für das Leid anderer. Die potenziellen Tatorte finden sich auf der Straße, in Geschäften, im Rettungswagen, an Brandorten, in Wohnungen, in Arztpraxen, in Kliniken und Kneipen. Dort kann Gefahr in den unterschiedlichsten Formen lauern. Ersthelfende wissen nie genau, was sie am Einsatzort erwartet. Daher ist es unerlässlich, alle, die zu einem Notfall gerufen werden, entsprechend auszubilden und zu sensibilisieren. Es ist wichtig, dass sie in der Lage sind, die jeweilige Situation richtig einzuschätzen und richtig zu reagieren. Zu Ausnahmefällen zählen nicht die akuten Gefahrenlagen, die bereits im Vorfeld erkennbar sind. Denn als Rettungsfachkraft fährt man zu bedrohlichen Einsätzen in der Regel mit Polizeibegleitung. Doch nicht immer ist eine bedrohliche Situation auch im Vorfeld als solche erkennbar. Unvermittelt ausbrechende Gewalt aus der „ Rettungsdienst –Tagesroutine“ birgt erhebliche Risiken.

 

Eigensicherung hat Priorität

Ein plötzlicher Angriff einer Patientin oder eines Patienten, die oder der unter der Wirkung von Alkohol oder Drogen steht oder unter einer psychischen Erkrankung leidet, kann sehr gefährlich sein. Auch Personen aus dem Umfeld, die plötzlich und unerwartet „ausrasten“, sind mit meist nicht in der Lage oder gewillt, Helferinnen und Helfer in Rettungsdienst-Schutzkleidung von anderen Einsatzkräften oder Zivilisten zu unterscheiden. Auch Amokläufer lassen sich von der Einsatzkleidung der Rettenden oft nicht beeindrucken. Zudem lassen sich bevorstehende Handlungsweisen dieser Tätergruppen häufig nur sehr schwer einschätzen.

Die Eigensicherung sollte in solchen Situationen absolute Priorität haben. Doch wie reagieren Rettende richtig? Erkennbares Gewaltpotenzial dürfte für erfahrenes Rettungsfachpersonal kein Problem darstellen. Solche Einsatzlagen gebieten einen geordneten Rückzug. Hier sollte man Polizeinotruf mit der nötigen Dringlichkeit tätigen – gegebenenfalls aus verdeckter Position.

Eine nicht erkennbare Gefahrenneigung birgt dagegen erhebliche Risiken für die Helfenden. Deshalb muss an allen Einsatzorten eine Ersteinschätzung zur Eigensicherung erfolgen, eventuell müssen die Fluchtwege gesichert werden. Das ist unauffällig möglich und erfordert wenig Zeit.

Dann sollte man versuchen, die Lage zu entschärfen und die aufgebrachten Personen zu beruhigen. Dabei sollte man sich auf vier Aspekte konzentrieren: das Auftreten, das Erscheinungsbild, das Verhalten und insbesondere die Kommunikationsfähigkeit können maßgeblich über den Einsatzverlauf in einer solchen oder ähnlichen Ausnahmesituation entscheiden.

Auftreten und Körpersprache: Da ein gewisses Risikopotenzial in jeder Einsatzsituation gegeben ist, sollte man als Ersthelfer immer einen Sicherheitsabstand wahren. Dazu hält man die Hände wie ein Schutzschild vor Gesicht und Körper. So kann man ruhig und aus relativ sicherer Ausgangslage mit den anwesenden Personen kommunizieren.

Erscheinungsbild: Achten sollte man darauf, die Patientinnen und Patienten nicht (unbewusst) zu provozieren. Eine große Stabtaschenlampe – vermeintlich hiebbereit in der Hand – könnte als Bedrohung angesehen werden. Auch die gerne verwendeten „Zugriffshandschuhe“, vergleichbar mit Polizei-Einsatzmitteln, dienen nicht der Deeskalation.

Verhalten: Grundsätzlich sollte man patientenorientiert, ruhig und sachlich auftreten. Nervöses Verhalten und Belehrungen in Oberlehrermanier begünstigen einen negativen Einsatzverlauf. Menschen in psychischer Ausnahmesituation sollte man vermitteln, dass sie das Einsatz- und Rettungsfachpersonal nicht als Gegner betrachten müssen, sondern als qualifizierte Hilfe. Auf keinen Fall darf man sich provozieren lassen.

Kommunikation: Sätze wie „Beruhigen Sie sich doch“ oder „In diesem Zustand können wir nicht diskutieren“ sollte man vermeiden. Sie sind gut gemeint, haben aber für Menschen in psychischer Ausnahmelage einen belehrenden Charakter, der zur Eskalation der schon gegebenen Ausnahmelage beitragen kann. Besser ist es – stets unter Beibehaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstandes – mit einfachen Fragen die Ursachen der Aufregung zu erforschen. Wenn man aufmerksam zuhört, kann man feststellen, dass dieses ruhige Auftreten bereits eine positive Auswirkung auf die aufgebrachte Person hat und dazu beiträgt, die Konfliktsituation zu entschärfen. Günstig sind Sätze wie „Hallo, wir sind vom Rettungs dienst – wie können wir Ihnen helfen?“ oder „Keine Sorge, wir werden gemeinsam Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen finden!“.

Für Einsätze, bei denen dieses Vorgehen nicht mehr weiterhilft und man als Ersthelfer einem rechtswidrigen Übergriff ausgesetzt ist, bedarf es geeigneter Maßnahmen, um Gesundheit und Leben schützen zu können. Wenn man als Ersthelfer in einer bedrohlichen Situation einen Polizeinotruf abgesetzt hat, muss man jedoch warten, bis die Polizei eintrifft. In diesem Zeitraum muss man gegebenenfalls handeln, ohne sich selbst oder andere in Gefahr zu bringen. Wenn sofortiges Eingreifen unabdingbar ist, kann man – eventuell unter Einbeziehung weiterer Passanten – ein gemeinsames Einschreiten in Erwägung ziehen. Zuvor sollte man jedoch das Risiko abwägen und sich selbst fragen, ob man dazu in der Lage ist.

 

Rechtsgrundlagen

Einen tätlichen Angriff auf sich selbst oder auf Kollegen abzuwenden ist erlaubt und in den §§ 32 STGB – Notwehr, 33 STGB – Notwehrüberschreitung festgeschrieben. Auch die Straffreiheit bei der Abwehr rechtswidriger Angriffe ist gesichert. Dem Gesetzestext ist sinngemäß zu entnehmen: Wer in Notwehr handelt, handelt nicht rechtswidrig und kann somit auch nicht bestraft werden – auch dann nicht, wenn der Angreifer im Rahmen der erforderlichen Notwehr Schaden erleidet.

Eine berechtigte Grundlage zur Notwehr ist ein rechtswidriger und gegenwärtiger Angriff. Unter „gegenwärtig“ ist in diesem Fall zu verstehen, dass der rechtswidrige Angriff begonnen hat, aber noch nicht beendet ist. Unbedingt zu beachten ist, dass bei den Notwehrmaßnahmen die Erforderlichkeit gewahrt sein muss: Man darf nicht überreagieren; die Mittel der Gegenwehr müssen dem Angriff angemessen sein. Natürlich muss sich der Angegriffene nicht auf Risiken einlassen, zumal entscheidende Abwehrmaßnahmen in den meisten Fällen unverzüglich und in Zeitnot erfolgen müssen.

Paragraph 32 STGB – Notwehr

1.Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

2 Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Anderen abzuwenden.

(Notwehr zugunsten eines dritten wird als „Nothilfe“ bezeichnet.)

Paragraph 33 STGB – Notwehrüberschreitung

Überschreitet der in Notwehr Handelnde die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Paragraph 34 STGB – Rechtfertigender Notstand

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. 2Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Gegenwehr nur als Ausnahme

In einer Ausnahmesituation, in der keine Fluchtmöglichkeit besteht und Gesundheit und Leben akut bedroht sind, kann man sich wehren. Dies kann man auch als Ungeübter erfolgreich, indem man den Täter kräftig von sich wegstößt. Auch einfache, aber effektive Abwehr-und Befreiungsmaßnahmen, wie lautes Schreien, Ausweichen, Blocken, Treten oder Schlagen können in akuten Bedrohungslagen letztendlich die Möglichkeit zur Flucht bieten. Es gilt jedoch, niemals eine Einsatzsituation und die anwesenden Personen zu unterschätzen. Abzuraten ist zudem vom Gebrauch von Reizstoffwaffen in Ausnahmesituationen, denn die richtige Anwendung erfordert Erfahrung. Andernfalls besteht die Gefahr, als Anwender selbst Schaden zu nehmen. Nicht zuletzt bietet der Besuch von Selbstschutzseminaren eine gute Grundlage für die Bewältigung von Gefahrensituationen. Empfehlenswert sind auch regelmäßige Schulungen auf den Dienststellen- so z.B: im Rahmen der Rettungsdienstpflichtfortbildungen. Grundlegende Inhalte der Ausbildungen sind Einblicke in rechtliche Grundlagen und eine praktische Ausbildung. Dabei sollten jedoch keine schwer zu erlernenden Selbstverteidigungsmaßnahmen gelehrt werden, sondern einfache, nach kurzer Reaktionszeit sofort abrufbare Abwehr- und Befreiungstechniken, die Schutz- und Fluchtmöglichkeiten gewährleisten.

Einige Rettungsdienste haben den Bedarf spezieller Mitarbeiterschulungen bereits erkannt und bieten sie an. Ziel eines jeden Selbstschutz – Seminars muss es sein, den Teilnehmern die Kriterien der Eigensicherung und das angemessene Verhalten an Einsatzstellen und im Umgang mit auffälligen Patientinnen und Patienten oder deren Umfeld zu vermitteln. Die Schulungsmaßnahmen sollten im Wesentlichen den Bedürfnissen von Rettungsdienstpersonal, Notärzten und Feuerwehrkräften angemessen sein.

 

Alfred Brandner

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