DIE ROTE RAKETE
DIE ZAHLEN:
5,2 LITER HUBRAUM,
10 ZYLINDER, 610 PS, 330 KM/H,
187.400 EURO GRUNDPREIS.
DAS FAHRERLEBNIS: SENSATIONELL!
– TEXT UND FOTOS: GFM-TT (BREDL/KLUGE) –
Es gibt Autos, auf die man Autofahrer nicht ohne Anweisung loslassen sollte. Der Bugatti Veyron mit über 1000 PS gehört dazu. Er kostet über 1.000.000 Euro. Das von uns gefahrene Audi R8 V10 plus Coupé gehört auch dazu. 
Obwohl er im Vergleich zum Bugatti Veyron geradezu ein Schnäppchen ist – er kostet gerade mal schlappe 210.830 Euro und hat ,nur’ 610 PS. Der Bugatti schafft über 400 km/h, der neue R8 V10 erreicht ,nur’ Tempo 330.
Beide, ansonsten völlig unterschiedliche Autos, haben eine Menge Gemeinsamkeiten: Es sind Spaß- und Besitz-Mobile, die sich jeder rationalen Sinn-Diskussion entziehen; sie ziehen zwangsläufig bei vielen Ablehnung nach sich, die sich aus dem für aus der Missgunst geborenen Sozialneid nährt, für den Deutschland weltweit mit Kopfschütteln bedacht wird. Beide Autos sind jetzt schon nicht wenigen als Zeitgeist-Antipoden – an der Schwelle zu einer Zukunft, in der sich schon bald jemand moralisch verantworten muss, der einen 80 PS-Dacia fährt, der nicht mindestens ein Plug-in-Hybrid ist.
Game Of Thrones
Beide Autos werden bald bei Sammlern Höchstpreise erzielen (der Erstserien-Bugatti tut es schon). Und beide Autos sind Volkswagen. Beide verdanken ihre Existenz den Komplexen des hochbegabten und mittlerweile eher hochbetagten Ferdinand Piëch. Der konnte es vor vielen Jahren nicht ertragen, dass man ihn in der Familie Porsche, in die er eingeheiratet hatte, nicht gebührend respektierte. Er ging und zeigte allen, wo der Hammer hängt. Er machte aus Audi eine Premium-Marke. Der Bugatti Veyron sollte der ultimative Wagen sein; der R8 wurde gegen Porsche geschaffen – und am Ende gehörte Porsche zu Volkswagen, wo Piëch viele Jahre König der Könige war. „Game Of Thrones“ in Wolfsburg.
Der Herr möge diesem Auto-Fanatiker noch viele gesegnete Jahre bescheren. Zurück zu unserem R8-,Volkswagen’ und zum Anfang dieses Textes. Audi R8-Stützpunkt-Händler wie etwa Auto Wagenblast in Aalen bieten den Kunden eine ausführliche Einweisung mit begleiteter Probefahrt für diesen kompromisslosen Sportwagen an, der nichts anderes ist als ein ,für die Straße modifizierter’ Rennwagen. Wie Porsche oder Ferrari bietet auch Audi seinen Kunden Wochenenden mit Fahrtraining durch Fachleute auf den Rennstrecken der Republik an.
Fährt sich wie ein Golf
Die Ironie der Anweisungsangebote – man braucht sie eigentlich nicht. Vorausgesetzt, man hat schon Grunderfahrungen mit hochmotorisierten Fahrzeugen. Viel wichtiger aber: Man fährt besonnen ein solches Auto. Es ist nichts für 25-jährige Reicher-Sohn-Fahrer und auch nichts für 55-jährige gesetzte Herren, die sich von einem Golf GTI provozieren lassen.
Apropos Golf – der R8 lässt sich ruhig wie ein Golf durch die Stadt bugsieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Vorgänger, den wir vor zwei Jahren vorstellten. Der war eher ruppig, nervös. Aber Stadtmodus ist nicht Sportmodus. So sollte man am Satellitenknopf für den Auspuff nicht den Sportmodus wählen. Denn dann beginnt das Gefährt einen Sound zu entwickeln, der die Vorurteile der Passanten sofort bestätigt – es sei denn, es sind grinsende junge Männer, die dem Fahrer mit hoch gehaltenem Daumen („Coole Karre“) neidlose Anerkennung zollen. Und an der Ampel, wenn die Start-Stopp-Automatik den Motor wieder anmacht, dreht der im Sport-Modus sofort laut grollend hoch.
Leistung durch Hubraum
Denn der R8-Motor ist ein hoch drehendes Aggregat (bis 8250 Umdrehungen). Er erreicht seine Höchstleistung eben nicht durch den Einsatz von Turboladern. Audi ging hier kompromisslos den zum Zeitgeist entgegen gesetzten Weg: Kein Downsizing, keine Verringerung der Zylinderzahl wie bei anderen Herstellern. Beim R8 ist es wie früher – Leistung durch ein Plus an Hubraum. Dass man aber dabei nicht die automobile Steinzeittechnik bemühen muss, hat der Ingolstädter Autobauer mit dem R8-Geschoss beeindruckend belegt.
Zunächst der 5,2-Liter-V10-Großvolumer-Hochdrehzahlmotor mit dualer Einspritzung. Hier wird die Saugrohreinspitzung mit einer Direkteinspritzung kombiniert. Eine verbesserte Leistungsentfaltung ist die Folge. Dazu kommen ein verringerter Verbrauch (12,3 kombiniert) und gesenkte Abgasemissionen (287 g, kombiniert). Die Abgasnorm Euro 6 wird erfüllt. Wir hielten die Verbrauchsangaben eigentlich für eines der üblichen Werksangaben-Märchen. Im Stadtbetrieb erreichten wir 19,2 Liter (Werksangabe: 17,5), außerorts 9,8 (Werk: 9,3) und im Mittel 14,7 Liter. Das sind für ein solches Fahrzeug sensationelle Werte!
5 Zylinder abgeschaltet
Audi cylinder on demand sorgt dafür, dass je nach Fahrzustand im Teillastbetrieb die Zündung an einer Zylinderbank abgeschaltet wird. Im Klartext: Der R8 rollt nur mit fünf statt zehn Zylindern dahin – und zwar absolut ruhig. Es ist geradezu lustig, wenn man die zwei kleinen Anzeigen im Display rechts unten beobachtet: 2 Prozent Leistung, 3 Prozent Drehmoment-Ausschöpfung – bei 70 km/h auf dem Tacho, ebene Strecke. Bei Voll-Last bleibt natürlich keine Zeit mehr für solche Augenblicke.
Ein kleiner Druck aufs Gaspedal – in Millisekunden werden fünf Zylinder wieder zugeschaltet. Noch eben tuckerte man mit 80 dahin. Ein Druck – und man schießt am Sonntagsfahrer geradezu vorbei, um dann wieder vor sich hinzuschleichen. Das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe arbeitet sensationell harmonisch. Es verbindet die Vorteile des konventionellen Handschaltgetriebes mit denen des Automatikgetriebes. Über zwei permanent aktive Teilgetriebe werden Schaltvorgänge durch Wechseln der kraftübertragenden Kupplung fast ohne Zugkraftunterbrechung ermöglicht. Nur Puristen mögen noch uneingeschränkt auf Schaltgetriebe stehen. Übrigens gibt es selbst einen Porsche GT3 RS ausschließlich mit „Automatik“.
Für den Rennsport-Unerfahrenen ist diese Technik schlicht toll. Er kann das Fahren voll genießen – das Auto erledigt praktisch alles für ihn.
Fahrerlebnis der Superlative
Audi ist für den Allradantrieb quattro berühmt. 
Die Kraft des Antriebs wird durch optimale Traktion maximale Fahrdynamik so sicher auf die Straße gebracht. Ein Hoch auf die Steuerungslektronik. Der Allradantrieb kann zusätzlich modifiziert werden. Im Audi R8 V10 plus Coupé kann mit Audi drive select über den Performance-Modus die Antriebscharakteristik auf die Streckenbedingungen abgestimmt werden. Auf kurvenreichen Strecken, einsamen Strecken – das gibt es noch, etwa zwischen Blaubeuren und Geislingen – konnten wir einen kleinen Geschmack davon abbekommen.
Der Quattro-Antrieb, der Super-Motor, das traumhafte Fahrwerk (unter anderem werden die Dämpfkräfte in Sekundenbruchteilen an die jeweilige Fahrsituation angepasst), die R8-spezifische Kennlinie der Servolenkung, der niedrige Schwerpunkt – all das bietet ein Fahrerlebnis der Superlative.
Sozialer Urschlamm
Auf der Autobahn A7. Eine Autobahnfahrt verlangt vom Fahrer im Prinzip kein besonderes Können. Nur starke Nerven. Vor uns ein VW-Bus aus der Schweiz. Tempo: 182 km/h. Das gleiche Spiel wie zuvor mit einem Opel, einem Audi A6 und einem Passat. Das nennt man mit einem politischen Salopp-Begriff das „Hochbrodeln sozialen Urschlamms“: Ich fahre links und bleibe links. Soll der Typ in der flachen roten Flunder sich ärgern wie er will. Wahrscheinlich ist er so ein mieser Typ wie mein Chef.
Außerdem habe ich gerade Lichtgeschwindigkeit mit Tempo 215 auf dem Tacho erreicht.
Doch dem T5-Busfahrer gehörte unsere Sympathie. Er kam aus der Schweiz. Deutsche Autobahnen sind ein Traum für die Alpenländler. Einmal richtig Gas geben dürfen. Als er endlich nach rechts zog, durften auch wir endlich Gas geben. Man muss sich das einmal vorstellen: Man sitzt extrem niedrig, die Frontscheibe wirkt eher klein. Im Wagen 4 Zusatz-Satellitenknöpfe am Lenkrad, unterhalb der Mitte des Armaturenbretts drei Rundschalter mit Wippen mit der Anmutung von ,Drosselklappen’ (dabei geht es nur um die Klimaanlage). Das 12,3 Zoll-Display nur auf Drehzahlmesser gestellt. Kurz – das Ganze hat ein Ambiente, als ob man in einer Mischung aus Rennwagen von gestern und futuristischem Kampfraumschiff säße. Das ist eine Männer-Maschine. Und das ist gut so.
Schlag ins Kreuz
Und jetzt – Kickdown, das Gaspedal durchgetreten. Es folgt ein Schlag ins Kreuz, der Wagen wird wie bei einem Raketenstart nach vorne katapultiert. – Autobahn A8, dreispurig, ohne Tempolimit. Bei 282 km/h brechen wir ab. Topspeed ist was für die Rennstrecke. A8 bei Ulm, Stau. Alle sind gleich. Aber in diesem Wagen steht man auch souveräner im Stau. Und plötzlich können wir Leute verstehen, die mit einem Porsche oder einem R8 am Sonntag früh auf die Autobahn gehen. Ein bisschen Speed, ein paar Beschleunigungen, ein paar Kurven auf der Hin- und der Heimfahrt. Und mittags sitzt man im Liegestuhl in der Sonne im Garten. FASZINATION FAHRZEUG heißt diese Rubrik. Selten waren wir so fasziniert.
