Zoos der Zukunft: Wenn Affen das Affenhaus selbst managen

Ein Panda, der sich im Luxusgehege räkelt. Affen und Tiger mit viel Auslauf.
Handout - Der «Treetop-Trail» (Baumwipfel-Pfad) mit Lemuren und Kleinaffen im Zoo von Philadelphia (USA), aufgenommen am 30.08.2013. Foto: -/Philadelphia Zoo/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Zoos der Zukunft: Wenn Affen das Affenhaus selbst managen

Ein Panda, der sich im Luxusgehege räkelt. Affen und Tiger mit viel Auslauf. Ein vertikaler Tierpark im Hochhausformat. Wie können Zoochefs die Vorwürfe der Tierquälerei entkräften? Ein Blick in die Zukunft der Zoos.

Washington/Berlin (dpa) -Kleine Affen sprinten von Baum zu Baum. Sie spielen und jagen sich. Lemuren, Sakis und schwarz-weiße Stummelaffen flitzen hoch über der Erde durch Röhren aus stabilem Maschendraht. Im Zoo der US-Stadt Philadelphia sind Baumwipfelpfade nicht für Menschen gebaut, sondern für Tiere. Unter ihnen schauen Kinder nach oben und kreischen vor Vergnügen.

Hunderte Meter können die Affen so außerhalb ihrer Gehege zurücklegen. Auch Tiger stolzieren in ähnlichen Konstruktionen über die Köpfe der Besucher hinweg. Mehr Auslauf für Wildtiere in Gefangenschaft, mehr Abwechslung – das ist Teil des Zoo-Konzepts, das von vielen als vorbildlich gelobt wird.

Selten standen Tierparkbetreiber so stark unter Druck von kritischen Tierschützern und neuester Forschung. Das gilt für Deutschland und Europa ebenso wie für die USA. Tierschützer von Peta und Co. brandmarken Zoos als Gefängnisse. In sozialen Medien schlagen Wellen der Empörung hoch: Etwa nachdem im Zoo von Cincinnati 2016 der Gorilla Harambe erschossen wurde, weil ein Kind in sein Gehege gefallen war. Die Wärter sahen das Leben des Jungen in Gefahr. Und als in Kopenhagen 2014 eine überzählige Giraffe getötet und vor den Augen der Besucher an Löwen verfüttert wurde.

Studien zeigen, dass Tiere Trauer und Stress kennen. Und dass Langeweile sie krank macht. Trotzdem sind in zahlreichen Tierparks Betonböden und Gitterstäbe zu finden. Zoochefs suchen zwar vielerorts nach Wegen, das Leben der Tiere zu verbessern. Aber der Wandel kommt nicht von heute auf morgen. Die Balance zu finden zwischen Unterhaltung und Bildung, Artenschutz und Tierwohl fällt nicht leicht. Einige der spannendsten Projekte laufen in den USA.

US-KONZEPTE ALS VORBILDER
Eine Idee, was den Zoo der Zukunft prägen könnte, gibt es an der US-Ostküste in Philadelphia zu besichtigen. Dort setzen die Macher auf das Prinzip «Zoo360». So heißt das Konzept, bei dem Besucher Tiere um sich herum entdecken. Zum Beispiel in dem großen Gittergang, der eine Wegbiegung hinter den Baumwipfelpfaden der Affen liegt. Dort schreiten Amur-Tiger in der Höhe über die Besucherwege.

«Seit 2006 haben wir für unsere Großkatzen fünf verschiedene Außengehege durch unter- und oberirdische Gänge miteinander verbunden», erzählt Zoo-Geschäftsführer Andy Baker. Löwen, Pumas, Leoparden und Jaguare tauschen mit den Tigern die Gehege. Manchmal mehrmals am Tag. Oder sie nutzen, wenn sie mögen, die luftigen Auslaufpfade. Tierwärter regeln den Zugang über Gitterklappen.

«Unser Zoo ist nicht allzu groß, nur 17 Hektar, da müssen wir genau überlegen, wie wir den Platz optimal für die Tiere ausnutzen», sagt Baker. Er ist Verhaltensbiologe. Das Primatenhaus hat ebenfalls Baumwipfelgänge für Orang-Utans und Gorillas. «Wenn es den Affen im Winter zu kalt wird und sie im Affenhaus bleiben, steht dieser Pfad auch den Raubkatzen offen.»
Eine junge Wissenschaftlerin begleitet das Baumpfade-Projekt. Publiziert sind die Ergebnisse noch nicht. Aber Baker sagt, sie seien erfreulich: Die Tiere nutzten den erweiterten Aktionsrahmen und ihre Möglichkeiten, mehr zu entscheiden. Sie seien lebhafter.
Außerdem setzt der US-Zoo im Bereich für Kinder auf Tiere, die nicht sofort den Streichel-Reflex auslösen: Er zeigt Ratten, Tauben und Kakerlaken. Anfassen erwünscht.

ZIEL SIND GLÜCKLICHE TIERE
Das Ganze wird kombiniert mit Mitmach-Beispielen. Was kann man tun, um den schrumpfenden Lebensraum von Wildkatzen in der Natur zu erhalten? Auf Haarshampoo mit Palmöl verzichten, lautet eine Antwort. «Es geht darum, unsere Besucher so zu berühren, dass sie sich stärker für Tiere engagieren», sagt Baker. Höhere Spenden eingeschlossen.
In den USA finden sich weitere Beispiele, wie das Umdenken hin zu mehr Lebensfreude der Zootiere umgesetzt wird. Der Tierpark im kühlen Detroit etwa besitzt das weitläufigste Eisbärengehege der USA. Es ist größer als zwei Fußballfelder, plus supertiefes Becken mit gekühltem Salzwasser. Doch Gehegegröße alleine ist nicht alles, sagt Zoochef Ron Kagan. «Wenn man ein tolles Haus hat, aber ein fürchterliches Sozialleben, ist man nicht glücklich», erläutert er und meint die Tiere. «Auch wenn man keine echte Wahlmöglichkeit oder gar keine Kontrolle in seinem Leben hat, ist man nicht glücklich.»

BÄRENBABYS ALS SPIELZEUGE
Doch auch in Amerika ist längst nicht jeder Tierpark vorbildlich. Im Gegenteil. Neben den 230 Zoos, die dem Verband AZA angehören, existieren rund 2000 kleine Straßenrand-Zoos. Sie müssen keine Auflagen für artgerechte Tierhaltung erfüllen. Dort werden Tiger und Orang-Utans oft in enge Käfige gepfercht. Für Geld dürfen Besucher Bärenbabys mit der Flasche füttern.
«In den USA leben in solchen Zoos und als Haustiere mehr Tiger als in Asien in freier Wildbahn», berichtet Wayne Pacelle. Er ist der Vorsitzende der weltweit größten Tierschutzorganisation Humane Society of the United States, kurz HSUS. Wayne Pacelle räumt aber auch ein: «Gute Zoos können viel für Tiere tun.» Zum Beispiel aus Hinterhöfen und Straßenrand-Zoos gerettete Tiere aufnehmen. Ja, sagt er, Zuchtprogramme und Artenschutz seien eine Aufgabe – auch wenn manche Tierrechtsaktivisten das bezweifeln. «Aber wir brauchen auch Platz für all die Tiere, die einfach schon da sind», fordert er.

Kritikern geht der Wandel zu langsam. Zudem lässt sich schwer bestreiten: Hochintelligente Tiere wie Menschenaffen, Elefanten und Delfine leben als Gefangene teils unter Bedingungen, die sie krank machen. Artenschutz und Zucht werden von Zoomachern als wichtige Ziele genannt. Längere Zeit galt jedoch nur für 13 bis 19 Arten, dass sie durch Zoo-Programme vor dem Aussterben bewahrt wurden. Nach neuen Studien nennt das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin nun über 100 Arten, die durch Zoos gerettet wurden, deren Schutzstatus auf der Roten Liste verbessert oder wo eine Verschlechterung verhindert wurde.

ZWEIFEL AM SINN DER ZUCHTPROGRAMME
Dabei wird Geld nicht immer so eingesetzt, dass es vielen Tieren zugute kommt. So fließen weltweit Millionen in Versuche, Riesenpandas zu züchten. Vor allem durch In-vitro-Befruchtung kamen einige Babys zur Welt. Aber nur ein einziges ist bisher wieder ausgesetzt worden.
Viele Zoodirektoren verteidigen ihre Linie trotzdem. Sie sehen die Parks als Begegnungsstätten für Menschen mit Tieren, mit der Natur. «Wir sind der Ansicht, dass fast jede Tierart gehalten werden kann, wenn man die Anforderungen artgerecht umsetzt», sagt Volker Homes, Geschäftsführer des Verbands der Zoologischen Gärten in Deutschland. Das einzigartige Merkmal von Zoos bleibe das lebende Tier. Exotischen Wildtieren zu begegnen, sei einfach faszinierend.

ZOOS SIND FÜR MENSCHEN DA, NICHT FÜR TIERE
Der Berner Zoochef Bernd Schildger setzt das Konzept «Mehr Platz für weniger Tiere» zwar konsequent um, winkt jedoch ab, wenn es um die Rolle von Artenschutz und Zucht geht. Er hält sie für überbewertet. «Zoos sind für Menschen da», findet Schildger. Es sei wichtig, dass Besucher lebende Wildtiere betrachten und spüren könnten. Wer Tiere erlebe, tue eher etwas für deren Lebensräume, urteilt er.

Wieviel Tiererlebnis, Freizeitpark und Bildung soll es denn nun sein? Um die richtige Dosis ringen Zoos auch in Deutschland. Zum Beispiel in Berlin. Dort locken der Zoo im Westen der Stadt und der Tierpark im Osten zusammen mehr als 4,5 Millionen Besucher pro Jahr an.

Seit 2014 ist Andreas Knieriem ihr Chef. Zuvor hatte er die Zoos in Hannover und München modernisiert. Sein Ziel für die Hauptstadt: «Beide Zoos zusammen sollen einmal zu den modernsten

Tierparks der Welt zählen und in einer Reihe genannt werden mit New York, San Diego, Singapur.»
Das jüngste Ergebnis seiner Arbeit ist der Panda Garden im Zoo, eröffnet im Juli. Besucher spazieren durch ein Eingangstor, das grüne Keramikdrachen krönen – wie in Pekings verbotener Stadt. Von Gittern keine Spur, es gibt Glasscheiben. Im Außengehege wogt ein Bambuswäldchen im Wind.

Männchen Jiao Qing lässt sich bambusmampfend fotografieren. «Den Bären haben wir da nicht angetackert, das macht der freiwillig», sagt Knieriem. Er gibt zu, dass er sich dem Charme der zwei schwarz-weißen Tiere nicht entziehen kann. In Zahlen heißt das: 5000 Quadratmeter für das Bärenpaar, zehn Millionen Euro für das Gehege.

AUCH DAS GELD MUSS STIMMEN
Knieriem sieht keinen Königsweg, sondern Zukunftsbausteine, die in ältere Zoos eingepflanzt werden. «Zoo der Zukunft heißt, auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Aber wir sind kein Unternehmen, wir sind eine Kulturinstitution. Wir dürfen nicht zu sehr Freizeitpark werden.»

In seinen Augen muss ein Zoo weiter für Natur- und Artenschutz stehen, mit modernen Mitteln wie Apps und Touchscreens. Aber nichts Überladenes: «Ein Zoo bleibt analog», ergänzt er. Er sei etwas Sinnliches, das sich schon in der Kindheit einpräge. Diesen Erinnerungseffekt gelte es für den Tierschutz stärker zu nutzen.

Auch Knieriem will weniger Tiere. Nachbarn, die sich in freier Natur eine Region teilen, sollen im Zoo näher zusammenrücken. Dazu großzügige Gehege, mit Rückzugsräumen. Lieber Netze, Gräben und Glas statt Gitter. Landschaft statt Beton.

BLOSS KEIN ZWEITER KNUT IN BERLIN
Zukunft, das heißt auch für Pfleger, sich zurückzunehmen: «Die Tigerin braucht uns nicht. Die müssen wir nicht jeden Tag wiegen», sagt Knieriem. Der Papagei darf auf den Boden koten, und das Häufchen auch mal liegenbleiben.

Einen zweiten Eisbären Knut, den ein Pfleger mit der Flasche aufzog und die beide zu Promis wurden, will Knieriem auf keinen Fall. Unter seiner Leitung durfte Eisbärenmutter Tonja 2016 ihre ersten beiden Jungen in einer Wurfbox zur Welt bringen, ohne dass Tierärzte eingriffen. Eine Kamera zeigte, dass Tonja bald nur noch ein Baby versorgte – das zweite hat sie vermutlich aufgefressen. Das hätte sie in Freiheit auch getan, um einem Jungen eine bessere Chance zu geben.
Wie weit der Weg zum tierfreundlichen Zoo von morgen ist, zeigt ein kurzer Gang vom Panda Garden zum Raubtierhaus. Gelangweilt dreht ein Leopard in einem niedrigen Käfig mit Betonboden seine Runden. Kein Baum, kein Strauch, kein Spielzeug. Im Gebäude sind die Käfige gekachelt. «Toilettencharme», sagt Knieriem. «Wie im Gefängnis. Wir machen es unseren Kritikern leicht.»
Trotzdem hält er Zootierhaltung nicht generell für Freiheitsberaubung. «In der Wildnis sieht man die Zäune nur nicht. Man sieht nicht den Giraffenbullen, der sein Revier und sein Wasserloch immer wieder neu verteidigen muss.»

Und wie geht es auf lange Sicht weiter, bei uns ebenso wie in den USA? Jon Coe ist Spezialist für die Gestaltung von Zoos – und Visionär. Er macht sich seit fast vier Jahrzehnten darüber Gedanken. Viele Dutzend Tierparks weltweit tragen seine Handschrift.
«Selbst die besten Zoos basieren auf der Grundidee von Gefangenschaft und Zwang. Das ist für mich ein fundamentaler Makel», sagt der Landschaftsarchitekt und Tierfreund. Baumwipfelpfade, wie er sie für Philadelphia entwarf, sind für ihn nur der Anfang. «Es geht darum, die Umgebung der Tiere noch reicher, vielfältiger zu machen, ihnen die Wahl zu lassen – auch dabei, sich zu ernähren», fordert Coe.

«Warum sollen die Affen ihr Affenhaus nicht selbst managen?», sagt er. Implantierte Chips könnten ihnen helfen, an die passenden Futtermengen zu kommen. Und den Zugang zu Baumwipfelpfaden zu öffnen.
Ein anderes Architektenteam hat in Dänemark ein «Zootopia» entworfen, in dem Tiere sich recht frei bewegen sollen und Menschen hinter halbdurchsichtigen Wänden oder in verspiegelten Fahrzeugen verschwinden. Als Teil des Givskud Zoos.

ZOO-UTOPIE IM HOCHHAUS
Gleichzeitig geht Coe davon aus, dass Klimawandel und eine größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich auch die Zukunft der Tierparks mitbestimmen werden. Seine Prognose: «Virtuelle Zoos oder virtuelles Erleben von Tieren in freier Wildbahn werden reale Zoos für die unteren und mittleren Einkommensschichten wahrscheinlich ersetzen.» Echte Tiere, wie Ziegen und Co., sehen ärmere Besucher vielleicht nur noch in bescheidenen Regional-Zoos.

Exklusive Zoos mit Wildtieren blieben dann Wohlhabenden vorbehalten, sagt Coe voraus. Die kleineren solcher «Elite-Zoos» dürften sich in Zukunft auf ein paar populäre Tierarten beschränken. In engen Städten sei so ein Park sogar als Hochhaus denkbar – wie ein tropischer Regenwald mit Flora- und Faunazonen. Tiere aus aller Welt könnten dann wohl nur noch wenige «Mega-Elite-Zoos» bieten, glaubt Coe. Und vielleicht begegnet man darin sogar fast vergessenen Wesen: ausgestorbenen Tierarten, entstanden aus tiefgefrorenem Erbmaterial.

 

Von Andrea Barthélémy, Ulrike von Leszczynski (Text) und Gregor Fischer (Foto), dpa

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