Der Nebel kriecht dicht wie Zuckerwatte durch das Remstal. Es ist ein grauer, kalter Dezembermorgen. Sieben Tage vor Weihnachten, seit Tagen schneit es kräftig. Der Unternehmer Dirk Kraft ist auf dem Weg nach Schwäbisch Gmünd. Die Tage zuvor hatte er Stress, war mit der Übernahme einer Teppichwäscherei in Welzheim beschäftigt, die Weihnachtsfeier wirkt nach: Er ist müde. Er lässt fahren. Doch die ständigen Überholmanöver des Fahrers stören ihn. Plötzlich fällt dem hektischen Mann am Steuer ein, dass er Preislisten mitnehmen wollte. Nervös fängt er an zu suchen. Greift mit der Hand unter den Sitz, tastet sich weiter, sucht. Will zum Handschuhfach greifen … Das alles, während er einen Lastwagen überholt. Dann passiert es: Er kommt von der Fahrbahn ab. Alles was Dirk Kraft noch denkt ist: „Jetzt wird es schlimm für mich“. Dann war es aus.
Der Transit knallt gegen die Leitplanke, überschlägt sich, den Beifahrer Dirk Kraft erwischt es am schlimmsten. Glück im Unglück, denn hinter dem Unfallwagen fährt eine Zivilstreife, in einem nachfolgenden LKW sitzt ein Rettungssanitäter, diese Ersthelfer erkennen gleich: Ein Rettungshubschrauber muss her. Kraft wird an der Unfallstelle versorgt. An die Wärmedecke, auf die man ihn legte, kann er sich noch heute erinnern. Er sah sie deutlich, jedoch von oben. Dirk Kraft wird reanimiert. Auch das habe er gesehen, wie von außen beobachtet. Man kämpft um sein Leben. Doch auch er kämpft. Nicht nur einmal. Im Ulmer Bundeswehrkrankenhaus wird er operiert. Mehrere Wirbelbrüche, Genickbruch, Blutungen im Kopf … Seine Frau Ines ist jeden Tag bei ihm in der Klinik und das – obwohl zu Hause drei kleine Kinder warten, das Jüngste ist gerade einmal ein Jahr alt. Auch das Unternehmen braucht Führung. Doch die Freunde der Familie helfen. Übernehmen alle Aufgaben und geben Rückhalt.
Im künstlichen Koma liegend, fiebert Dirk Kraft. Und das Fieber steigt. Ein Virus attackiert das Unfallopfer. Die Ärzte bereiten die Ehefrau auf das Schlimmste vor. Doch Dirk Kraft gewinnt den Kampf. Nach acht Tagen im Koma wird er langsam zurück geholt. Die Befürchtungen der Ärzte, dass er womöglich geistig behindert oder querschnittsgelähmt sein werde, bewahrheiten sich nicht. Es folgen Klinikaufenthalte in Neresheim, im Fachkrankenhaus sowie in Ichenhausen. Dirk Kraft ist ein Stehaufmännchen. „Obwohl ich im Rollstuhl saß, habe ich den Laden aufgemischt“, erzählt er und lacht. Das alles kann seine Frau bestätigen, denn sie führte mit akribischer Genauigkeit Tagebuch über diese Zeit.
Die behandelnde Ärzte attestieren dem Unternehmer: „Sie sind einer der viel weg steckt“. Nach einem Vierteljahr fährt Kraft wieder Auto. „Ich habe mich da selbst wieder rausgezogen“, sagt er und hat Tränen in den Augen. An einem Dezembermorgen im Jahr 2001 ist er ins künstliche Koma versetzt worden, als er wieder aufwacht wird mit einer neuen Währung bezahlt, dem Euro.
Nachdem er wieder klar ist, sagt er zu seiner Frau: „Du glaubst gar nicht, wie ich gekämpft habe.“ Den Kampf erlebte er wie einen Film. Dort wo er war, habe es sich gut angefühlt. Vor ihm ein Laufsteg, hinter ihm seine Kinder. Auf der anderen Seite der Teufel. Wie der aussah weiß er noch genau: Wie das Tattoo auf dem Unterarm eines Verwandten. Seine Tochter habe seine Hand genommen und ihn zurückgezogen. „Wäre ich den Laufsteg entlang gegangen, wäre ich nicht zurückgekehrt“, meint Kraft im Rückblick. Über seine Wahrnehmung und Erinnerungen staunt er noch heute. Als er viel später noch einmal ins Bundeswehrkrankenhaus zurückkehrt, um zu schauen, wo man ihm half, hat er einen Arzt an der Stimme erkannt. Doch nicht genug: Kraft kann sich auch an den Inhalt des Gespräches erinnern. Es sei um Waschmaschinen gegangen. Der behandelnde Arzt bat Krafts Frau um Rat, weil seine Maschine kaputt gegangen war. Krafts Erinnerungen decken sich mit den Tagebucheintragungen seiner Frau. Er war nah am Tod und ist doch wieder ins Leben zurückgekehrt. Sein Erlebtes schildert er mit einer ungewöhnlichen Klarheit. Eins weiß er ganz gewiss: „Bis zum Unfall trieb ich viel Sport, ich blieb am Leben, weil mein Körper stark war.“
Text: Susanne Rötter // Foto: Andreas Wegelin