GEGEN DAS MORALISCH VERKLEMMTE BÜRGERTUM

„Bei der Arbeit selber, geht’s mir gut. Da merk ich kein Gebrechen.“ Das sagte Hans Kloss zu uns im Interview. Wenige Wochen danach stirbt er. Hier noch einmal die letzte mit ihm gemachte Geschichte.

Kloss hat sein Leben der Kunst gewidmet. Von der er immer leben konnte. Sein künstlerisches Gesamtwerk umfasst unzählbare Stücke, oft weiß er gar nicht mehr, wo seine Kunst gelandet ist. Doch keine Rede davon, dass er jetzt zufrieden die Hände in den Schoß legt und sich in seinem Werk sonnt, was er guten Gewissens könnte. Im Gegenteil, er hat Pläne. Da sind die Schattenbilder, die er gerade begonnen hat. Wiederholungen in der künstlerischen Gestaltung mag er nicht. Kreativ sein heißt für ihn, immer Neues zuzulassen, das sich beim Tun zeigt.

Im Frühjahr 1954 kommt Hans Kloss als DDR-Flüchtling mit dem Zug am Gmünder Bahnhof an. Da war er 15 Jahre alt. Zuvor hatten seine Mutter und drei Brüder in der damaligen DDR ein neues Zuhause gefunden, nachdem sie ihre Heimat Schlesien hatten verlassen müssen. An die Zeit im katholischen Lehrlingsheim in Gmünd erinnert er sich gern, interessanten Leuten sei er dort begegnet. Ein junger Volontär bei der Remszeitung namens Theo Sommer, der spätere Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“, hat seine Bilder beim Tag der offenen Tür im Kettelerheim gesehen. Danach öffneten sich die Türen für Hans Kloss. Er brachte seine in der DDR angefangene Lehre als Porzellanmaler in Plüderhausen zu Ende und arbeitete in diesem Beruf, bis die Aufträge versiegten. Unbeirrt ist Kloss seiner Berufung gefolgt. Dabei hätte er sich auf einen einfachen vorgezeichneten Weg einlassen können. Seine betuchte Verwandtschaft am Main wollte den jungen Mann zu einer Autoschlosserlehre überreden, mit der Aussicht der Übernahme ihrer erbenlosen Firma. Ausgebüxt ist er und schlug sich durch, übernachtete in Bahnhofsmissionen und gelangte nach Schwäbisch Gmünd.

Malerei war seine Passion, ist es bis heute geblieben. Daneben schuf er Skulpturen, arbeitete im grafischen Bereich. Karikaturen – er hat 1984 die Wilhelm-Busch-Medaille erhalten, Buchillustrationen und Briefmarken entstanden, Theaterkulissen für das Kolpingmusiktheater, der Ratgeb-Altar, heute in der Sammlung Würth, und sein Mammutwerk, das Staufer-Rundbild, an dem er vier Jahre lang gearbeitet hat. 30 Meter in der Länge und über eine Höhe von vereinhalb Metern hat Kloss die wechselvolle Geschichte der Staufer in einem bunten Bilderkaleidoskop auf die Leinwand gebracht. Diese wurde übrigens in Frankreich aus einem Stück gewoben und in einer Rolle angeliefert. Schon das Aufbringen der Leinwand auf die Holzrundkonstruktion war eine Herausforderung. Wie ein wandelndes Geschichtsbuch erzählt das Rundbild von Geschichte und Gegenwart. 200 Köpfe der über 1000 Personen des Historiengemäldes porträtieren Personen aus der lokalen Zeitgeschichte. Schließlich kostete das Monumentalwerk Geld und gegen einen Obolus durften Spender sich ein Denkmal auf dem Bilderbogen setzen lassen. Die weit über eine Million Besucher, die das Rundbild seit seiner Fertigstellung 2002 besucht haben, kämen nie auf die Idee, was für Hindernisse dieses Kunstwerk überwinden musste. Kunst eckt ja bekanntlich an. Altersmilde ohne jeden Vorwurf an seine Widersacher erzählt der Künstler sachlich davon, was sich alles der Realisierung dieses Projektes in den Weg gestellt hat. Das Stuttgarter Denkmalamt habe ein Gefälligkeitsgutachten für Boden und Kassettendecke erstellt, die schützenswerten Wände des Kapitelsaales, die auf gar keinen Fall von einem runden Konstrukt verstellt werden dürften. Auch den Dachgauben bescheinigte die Expertise mittelalterliche Historizität, obwohl die erst nach dem 2. Weltkrieg eingebaut worden waren, als dort ein Altersheim Platz fand.

Kunst und Kultur wollte Kloss im Lorcher Stadtrat fördern, doch für so etwas augenfällig Sinnloses und auffällig Funktionsloses war kein Geld da. Frustriert legte er wegen Nutzlosigkeit sein Mandat 2009 nieder, nach 29einhalb Jahren hatte er keinen Nerv mehr für die „Kanaldeckelpolitik“. Erst die Gründung eines Vereins mit dem Ziel der Entstehung des Rundbildes und Aufdeckung der neuzeitlichen baulichen Eingriffe in die architektonische Substanz von Kloster Lorch hoben das Projekt aus der Versenkung. Ein weiteres Monumentalgemälde, das Staufersaga-Panorama, ziert jetzt das Panoramamuseum in Gmünds wohl ältestem Gebäude, der „Grät“. Die Historie hat es ihm angetan. Sein 37-jähriger Lebensmittelpunkt auf dem Schnellhöfle im Beutental unter dem Wäscherschloss, der mutmaßlichen Stammburg der Staufer, hat ihn auf die Spur der früheren Jahrhunderte gebracht. Die historischen Personen gewannen Gestalt in seiner Vorstellung. Sie fesselten seine Fantasie und er begann mit intensivem Quellenstudium.

Doch angefangen hatte er mit der Entdeckung der schwäbischen Heimat. Er verinnerlichte die Landschaft und malte Landschaftsbilder in seinem Atelier, die er nach ästhetischen Gesichtspunkten komponierte. Der damalige Süddeutsche Rundfunk sandte seine Reporter aus und die findigen Leute „entdeckten“ die Landschaften von Kloss, wie er verwundert kundtut. So entstand der Film von Josef Eschenbach. Bei der Bundesgartenschau 1977 in Stuttgart wurde Kloss, dem nebenberuflichen Grafiker, im Landwirtschaftsministerium die Eröffnung im Landespavillon übertragen. Ein Durchbruch. Seither regnen viele namhafte Ehrungen über den Künstler wie die Staufer-Medaille des Landes Baden-Württemberg, der Irenenpreis oder der Premio Internazionale Federichino. Seine frühen Landschaftsbilder waren schon zur Zeit ihrer Entstehung nicht das, was man sich landläufig unter Landschaft vorstellte. Die Wolken hatten es ihm angetan. Wolkenbilder. Und in die Landschaft postierten sich irgendwann einmal Stühle, die miteinander kommunizierten. Die weibliche Figur zieht ihn seit jeher in Bann und sucht nach künstlerischem Ausdruck. Gruschtbilder wie die abstrusen Verformungen eines Streichholzes nach dem Abbrennen findet er malenswert, Vögel, Katzen stellen ständig wiederkehrende Motive in seinen Bildern dar. Surreales gesellt sich mitten hinein in das Gemälde. Eigentlich eine erstaunliche Vielfalt an Stilen, wenn man nur den naiven Maler des Rundbildes kennt.

Kloss erinnert sich mit Freude an die wilden Jahre der aufmüpfigen jungen Künstler in Gmünd, an Walter Giers, Ed Sommer, Eckhard Dietz und andere. Im Gmünder Kunstverein hatten spießige alte Herren das Sagen. Deren künstlerische Leistung später Ed Sommer als „Spießerkunst für den Spießer, Hotelbildmalerei, modisch verbrämte Nazikunst und Kitsch eines verkalkten, impotenten und moralisch verklemmten Bürgertum“ beschrieb. Zensur regierte über die Kunst. So gründeten die Jungen eine „Aktivgruppe“, veranstalteten Kunstmärkte und provozierten die selbstgefällige Bürgerlichkeit. So findet am 12. Oktober 1968 der erste Gmünder Kunstmarkt statt. Für die jungen Wilden war kein Platz in dem saturierten, behäbigen Altherrenverein. Hans Kloss eröffnete 1963 die erste private Galerie am Kalten Markt Nr. 13 in Gmünd. Dem Künstlernachwuchs wurde sie Ausstellungs- und Verkaufsraum und bot einen Treffpunkt für künstlerische Auseinandersetzungen.

Erst nach Jahren traten 40 Leute zum 100jährigen Bestehen des inzwischen vergreisten Vereins wieder in diesen ein. Hans Kloss sah sich plötzlich als dessen gewählter Vorsitzender wieder. Das provozierte einen solchen Leserbriefkrieg, dass er den Vorsitz wieder hinschmiss. Nichtsdestotrotz engagierte sich Kloss weiter im Verein und setzte sich ein für dessen Kampf um eigene Räume im Freudental. Oberbürgermeister Schuster war den Künstlern nicht gerade gewogen, erinnert er sich. Ein zähes Ringen. Ganz verscherzen mit ihren Künstlern wollte es die Stadt dann doch nicht. Heute können sich die Künstler über ihr neues Domizil im Kornhaus freuen. Zurückgezogen lebt der Künstler in seinem Ausgedinge, dem romantisch anmutenden Luginsland-Häuschen von Kloster Lorch, das den Blick über das Remstal bei Lorch schwelgen lässt. Gespannt blickt er nach vorn. Sein Häuschen soll umhüllt, besser gesagt umhäkelt werden als Event der Remstalgartenschau 2019. Christo und Jeanne-Claude lassen grüßen.

Text: Helga Widmaier // Fotos: Ingrid Hertfelder & privat

 

 

 

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