DER SCHWARZE MANN, DER SCHÜLERN TÜRME BAUT

DR. HELMUT RÖSSLER

ER TRÄGT NUR SCHWARZ. HELLE FREUDE BEREITETE ER HUNDERTEN VON SCHÜLERN, DIE UNZÄHLIGE REPORTAGEN-PREISE GEWANNEN – DANK DER SEIT DEKADEN WÄHRENDEN EUPHORIE UND DES ENTHUSIASMUS‘, MIT DENEN DER GYMNASIALLEHRER DR. HELMUT RÖSSLER BEGEISTERUNG FÜR DIE DEUTSCHE SPRACHE ZU WECKEN WUSSTE. PORTRÄT EINES BILDERBUCH-VOLLBLUTPÄDAGOGEN.

Er lacht viel. Wenn er spricht, dröhnt er. Er scheint beständig zu beben. So ist er, so lebt er. Er kann nicht anders. Helmut Rössler ist ein charismatischer, ein raumfüllender Bannkreis-Mensch. Keine Chance, ihm zu entkommen. Ich hatte im- mer wieder Visionen, während wir uns drei Stunden lang gegenseitig durch den Inter- view-Ring trieben, in dem eine Anekdote die andere jagte, ein literarischer Verweis den anderen und ein Zitat das nächste.

Ich dachte an die vielen Apparatschik-Politiker mit der Strahlkraft einer Büroklammer, 50 vor allem aber an die vielen Lehrerinnen, deren Lebensleistung aus dem Erklimmen des A14-Gehaltsstufengipfels besteht, die anschließend bei der Korrektur von Arbeiten kurz vor dem Burn-out stehen und in einem zeitlos glanzlosen Outfit mürbe durch die Gänge eines Gymnasiums schleichen, begleitet von einem der wenigen Lehrer- Männer, die es noch gibt. Beide so dermaßen vom Gutmenschen-Zeitgeist glatt gebügelt, dass (dort schon gar nicht) in der Unterstufe Pipi Langstrumpf in der Originalversion wegen des Wortes „Neger“ unter den Zensurhammer kommt.

LEHRER ALS SCHICKSAL

Helmut Rössler ist dieses Bestiarium der Politiker- und Lehrer-Langweiler vermutlich völlig egal. „Mein Lehrer ist mein Schicksal“ – dieser Satz bewahrheitet sich trotz des Hohns und der Häme, die viele Lehrer oft zu Recht ausgesetzt sind, Gott sei Dank eben auch immer wieder. Leute wie der Politiker Cem Özdemir (Grüne) oder die Schriftstellerin Thea Dorn unterschreiben dies sofort. Es waren Lehrer, die sie ent- scheidend für ihren späteren Lebensweg anschoben, ja, sie gelten ihnen als wichtigste Menschen in ihrer Kindheit und Jugend.

Helmut Rössler ist mit Sicherheit für viele Menschen einer dieser ,Lebenswegweiser’. Einer davon ist Jochen Temsch. Er durfte Rössler nicht nur als Deutsch-Lehrer erleben. „Ich hatte bei ihm auch Spanisch
außerdem war ich als Kind in seinem Akkordeon-Orchester. Ich habe ihn immer als besonders souveränen, dabei immer so heiteren und gelassenen Lehrer erlebt. Durch seine positive Art hat er mich als Schüler echt für Musik und Sprache be- geistert. Bei ihm hat man gerne zugehört, hart gearbeitet und viel gelacht.

PROJEKTOR VOLLER MÄUSE

In Spanisch haben wir bei ihm scheinbar sinnlose Sätze gelernt wie ,Der Diaprojektor ist voller Mäuse’ oder ,Das Kamel trinkt kalte Milch.’ Damals habe ich es nicht so ganz verstanden – aber die Sätze habe ich bis heute behalten. Dass er sommers wie winters immer nur schwarze Kleidung trug, fand ich als Kind unfassbar faszinierend. Und dass er auf meine Frage, warum er das tut, schlicht antwortete: ,Weil es mir gefällt!’, finde ich heute noch lässig.“ Jochen Temsch ist heute Stellvertretender Ressortleiter (REISE) der „Süddeutschen Zeitung“ in München.

Helmut Rössler kam vermutlich zum ewigen Schwarzen, weil noch Mitte der Sechziger die französische Künstler- und Philosophen- Bohème (Belmondo, Camus, Beauvoir, Sartre) mit Gauloise und schwarzem Rollkragenpulli den Intellektuellen-Stil vorgab. Bei vielen Jazzern ist das heute noch so.

DER JAZZ VON KARL MAY

Bei Helmut Rössler war der Jazz der Kindheit zunächst Karl May, alle Bände von Frau Muttern überreicht. Die war Schneidermeisterin, der Vater Schreinermeister. Helmut war Einzelkind. Ironie der Ge- schichte: „Literatur interessierte mich lange Zeit überhaupt nicht.“ In der Schule war der Junge, der am 22. Mai 1951 in der Ledergasse in Schwäbisch Gmünd geboren wurde, ein Hinterbänkler. Die Leistungen: Mittelprächtig. Aber mit 14 begann er bereits, die Kinder der Klarenbergstraße, in der er aufwuchs, in „irgendwas zu unter- richten.“ Denn „was mich fasziniert, muss ich weitergeben.“ Er wollte Lehrer werden. „Das war und ist einfach mein Ding.“

Parler-Gymnasium, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, Realschullehrer-Ausbildung (Geographie und Deutsch) abgeschlossen, „aber ich hatte das Gefühl, noch nicht genug gelernt zu haben.“ Universität Stuttgart: Germanistik-Studium, Promotion. Den Titel des Diplom-Pädagogen hat er übrigens auch. 1. März 1977: Dienstantritt am Frauenberuflichen Gymnasium in Aalen (das hieß damals tatsächlich so).

IN SPANIEN UNTERRICHTET

Und sofort legte Helmut Rössler los – mit Literarischen Schülerzeitschriften, mit der Gründung des ersten Schulvereins („Hieroglyphe“). Er schleppte seine Schüler ins Theater und die Oper, organisierte Reisen, fuhr mit Schülern, Kollegen und Eltern (!) in die Türkei, nach Tunesien… Rössler gründete die katalanisch-spanisch-deutsche Zeitschrift „Impression“ – denn er war auch Lehrer (85-91) an der Deutschen Schule in Barcelona. Am EG (Agnes-von-Hohenstaufen-Schule) in Schwäbisch Gmünd ging es gerade so weiter: Schulverein M`Agnesium, Schüler nehmen an „Jugend schreibt“ teil. Schließlich wechselte der Energie-Lehrer im Jahr 2000 ans Rosen- stein-Gymnasium in Heubach.

Rösslers Frau ist – Lehrerin. Zwei seiner vier Kinder sind Lehrer. Zwei tanzten aus der Reihe (Diplomat und Schlagzeuger). Rössler wurde zweimal das Rektoren-Amt angeboten. Jedes mal lehnte er ab. Ein Rektor hat doch keine Zeit für die vielen Projekte.

„Meine Aufgabe ist es, Leben in die Schule zu bringen.“

Den Schülern helfen, Türme des Lebens zu bauen.

Text: H. Bredl

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