SYMMETRIE ALS EIN BEWERTUNGSMAßSTAB FÜR DAS SCHÖNE

EIN BEGRIFF IM WANDEL DER PHILOSOPHIE

Für die Vertreter der platonischen und neoplatonischen Philosophie galt die Symmetrie (Ebenmaß) als Bewertungsmaßstab der Schönheit. Eine Person oder ein Gegenstand waren dann schön, wenn ihre Teile zueinander im Ebenmaß standen. Interessanterweise ist das heute noch genau so. Alle weltweiten Studien durch alle Ethnien und Kulturen kommen zum gleichen Ergebnis: Schön ist, was symmetrisch ist. Daran ändert auch eine Zeitgeist-Ästhetik nichts. Wenn früher eher füllige Frauen dem damaligen (Schönheits-)Ideal entsprachen, so mussten auch damals der Körper einem symmetrischen Ebenmaß entsprechen, also die Hüften mussten in einem bestimmten Verhältnis zur Schulter ausgebildet sein, der Unterkörper zum Oberkörper etc.

SCHÖNHEIT DER GEDANKEN

 In der mittelalterlichen Philosophie galt Schönheit auch als Eigenschaft von Gedanken, die mit der Wirklichkeit übereinstimmten. In der Ästhetik ist sie Ausdruck eines Urteils des Verstandes. Er definierte sie als Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis. Für Immanuel Kant ist Schönheit der Gegenstand einer bestimmten Tätigkeit der Urteilskraft des Geschmacksurteils, das auf privaten und subjektiven Empfindungen beruht.

Platon entwickelte seine Konzeption des Schönen in einem Stufenmodell, das von dem niedrigen Schönen in der sinnlichen Wahrnehmung zur Idee des Schönen in der geistigen Erkenntnis als nächste Stufe reicht. Daran anknüpfend gilt das Schöne gemeinhin als Inbegriff höchster Vollkommenheit  – als Idee eines geistig göttlichen Seins und als ein ideales Prinzip, das sich in der Schöpfung der Ordnung und der Harmonie des Kosmos sowie in dessen Glanz manifestiert. In enger Verbundenheit mit dem Wahren und Guten (Platon) stellt es so das Leitbild für die sittliche Vervollkommnung der menschlichen Seele und der Gotteserkenntnis (Augustinus) dar.

MENSCH IM MITTELPUNKT

Aufgabe der Kunst ist es nach diesem Verständnis das ästhetische Erlebnis des Schönen, wie es sich im menschlichen Sein und menschlichen Verhaltensweisen ausdrücken kann (Aristoteles), zu ermöglichen.

 Im Mittelpunkt der Schönheitsdiskussion stand schon immer auch der Mensch als Maß. Unter Rückgriff auf antike Quellen werden (etwa bei Leonardo da Vinci) an der Schönheit des idealen Körpers die Normen und Kriterien entwickelt, die in der Wahrnehmung der Schönheit überhaupt und für die Gestaltung in der Kunst zu gelten haben.

 Dass die Schönheit für das Leben eine besondere Bedeutung hat, hatte schon die Antike erkannt. So sprach bereits Platon von der Verbindung zwischen Schönheit und Eros, hier von Lebenskraft in Verbindung mit Schönheit und sah dies als Hinweis auf Fruchtbarkeit und Kreativität.

NATUR ALS NORM

 Eine besondere Rolle für die Konzeption des schönen Spiels spielte von alters her die Natur als Norm des Schönen. Schön galt immer als das, was als schön in der Natur empfunden wurde: Das war der Maßstab für alle davon abgeleitete Schönheit: so galt etwa bei Aristoteles Kunst als Nachahmung (Mimesis) der Natur.   Für die klassische Philosophie des Schönen ist das leitende Paradigma der begehrte menschliche Körper, für die moderne Philosophie das bewunderte Kunstwerk.

 Hier taucht die körperliche Schönheit allenfalls in der Frage nach dem ,Naturschönen’ auf. Die antike Philosophie allerdings in ihren Lektionen über das Schöne lässt sich in ihrer Eigenart nur im Kontext vor- und nicht philosophischen Verständnisses begreifen. Wohl kaum eine andere Kultur war so fasziniert vom Phänomen des Schönen (Kalos = schön, nach einer Figur der Mythologie)  wie die der griechischen Antike: Im Mythos (Helena), in den Götter-Statuen der Religion; in den Schönheitswettbewerben; Literatur (Epos, Lyrik, Elegie, Epigramm, Roman); in der Politik, dort als Schönheit des ideologischen Schlagworts und der Geselligkeit (Symposium) –  Lieblingsnamen auf Vasen feierten die Griechen die Macht des Kalos.

SCHÖN VON SCHEINEN

 In der deutschen Literatur kommt das Wort „schön“ von „scheinen“ und bedeutet soviel wie „leuchten.“ Das Leuchtende fasziniert und erfreut,  so umschreibt die Tradition von Thomas von Aquin bis Wittgenstein das Schöne als das, was glücklich macht, wenn man es sieht oder hört (die andere Sinne kommen hier kaum infrage).

 Zur Schönheit gehört, dass die Teile eines Ganzen in einem Gleichgewicht von Harmonie und Spannung stehen. Ein Seiendes, das zur vollen Entfaltung der Potenzen seines inneren Wesens gekommen ist, ist normalerweise auch schön. Zum Beispiel ein Mensch, dessen Körper gut trainiert und dessen Seele ohne etwas Falsches ist. Schon Homer erkennt Kalos nicht nur in menschlichen oder göttlichen Körper oder sichtbaren Körperteilen (Haare, Gesicht, Augen, Wangen etc.) und der Stimme, sondern auch in Nutztieren und Gebrauchsgegenständen (Kleidung, Waffen, Wagen, Häuser).

Auch nützliche oder angenehme Natur-Objekte (Brauthafenbaum, Wasser, Wind) werden dazu gezählt.

KULTUR UND SITTEN

 Natürlich entscheidet nicht die Natur von sich aus was als schön oder hässlich zu gelten hat. Zeitumstände und damit menschliche Meinungen und damit Kultur und Sitten spielen für Menschen eine Rolle. Und manchmal sind schöne Gespräche wichtiger als körperliche Schönheit. Für Sokrates galt, dass Körper, Körperteile und Gegenstände nicht schon für sich schön und gut seien, sondern nur in Bezug auf die eine Funktion, die sie erfüllen sollen. Ein Mistkorb, der für seinen Zweck gut gemacht ist, sei schön. Ein für seinen Zweck schlecht gemachtes goldenes Schild sei damit  hässlich.

SCHÖNHEIT UND LUST

 Epikur erkannte im Schönen ausschließlich die Seite, die traditionsgemäß mit Lust verknüpft war: „Ich spucke auf das Schöne und auf jene, die es vergeblich bewundern, wenn es keine Lust erzeugt.“ Für den Stoiker ist die Körper-Schönheit vorzuziehen. Im Verlauf der Entwicklung der griechischen Sprache gewinnt allmählich die moralische Bedeutung im Zusammenhang mit dem als schön Empfundenen mehr die Oberhand. Im Neugriechischen bedeutet Kalos nur „gut“ und hat ein Agathon (das Gute) teilweise verdrängt. Für schön wird „oraios“ gebraucht.

Konstantin Gorlas
Philosoph

Das Buch dazu: Reise durch die Philosphie