Der ehrliche Blick

"Für Harald Habermann ist das Licht Gestaltungsmittel wie für den Bildhauer Hammer und Meisel."

Der ehrliche Blick ist für den in Aalen-Wasseralfingen lebenden Fotografen Harald Habermann oberste Maxime seines Schaffens. Ob Menschen, Natur oder Architektur – er bildet seine Motive so ab, wie er sie sieht. Objektiv in dem Sinne, als er versucht, sie in ihrer typischen Erscheinung zu erfassen – und völlig subjektiv, indem er seine Fantasien und Emotionen, die das Objekt in ihm auslöst, in die Bildkomposition einfließen lässt.

Ohnehin definiert er für sich den Wert eines Bildes über dessen empathische Ausstrahlung. Löst es keine Empfindungen aus, ist es für Habermann belanglos. Der ehrliche Blick schließt die ganze Bandbreite der Emotionen ein. Lachen und Weinen, Lust und Schmerz. Deshalb kann und will der Fotograf nicht behaglich sein, nicht auf Fröhlichkeit fixiert. Das Dekorative ist nicht seine Welt. Zumindest nicht in der freien, künstlerischen Fotografie.

Zur Ehrlichkeit gehört für Harald Habermann der Respekt vor dem Gegenüber, das er porträtieren will. Er kommt, er sieht, er schießt (das Foto) – so nicht. Bevor er zur Kamera greift, sucht er das Gespräch mit dem Subjekt seines Interesses. Um sich ein Bild von der Person machen zu können. Um ihr Wesen und die Geschichte, die darin verborgen liegt, erahnen zu können. Damit er weiß – oder zumindest vermuten kann – wie er diesem Gegenüber mit dessen Abbild gerecht werden könnte. Als exemplarisch für seine von der Achtung vor dem Andern bestimmten Herangehensweise darf der Bildband über die Wachkoma-Station in Bopfingen „Gleißendes Dunkel“ gelten.

Was für die Menschen gilt, gesteht der Fotograf auch der Architektur, der belebten und unbelebten Natur zu, Blättern und Steinen. Er hat auf den Auslöser gedrückt, weil er bei dem Anblick etwas empfunden hat, das ihn drängt, dieser Empfindung Ausdruck zu verleihen. So wird aus dem Stein als einem unter zahllosen anderen ein Unikat. Hier kommt das Licht ins Spiel. Es haucht dem Stein Leben ein, indem es ihm Kontur gibt. Für Harald Habermann ist das Licht Gestaltungsmittel wie für den Bildhauer Hammer und Meisel. Nur dem Licht verdanken die verrotteten und vertrockneten Blätter, die der Fotograf von einem Komposthaufen mitgenommen hat, ihre Plastizität. Es ist kein Paradoxon, sondern die Macht der lichtbildnerischen Poesie, wenn das Licht das Morbide, das Welke, das schon fast Vergangene mit der Aura des Unvergänglichen adelt. Es verwandelt ebenso ein verfallenes, mit Brandnarben überzogenes Gebäude in einen Ort voller Geheimnisse, in den die Fantasie gerne einzieht. Nein, der Fotokünstler Harald Habermann ist kein Mann fürs Dekorative, der den Schein der heilen Welt inszeniert. Seine Bilder erzählen empfindungsreich vom Leben. Ganz ehrlich.

Text: Wolfgang Nußbaumer Fotos: Harald Habermann

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